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Die Porzellanmalerin

Titel: Die Porzellanmalerin
Autoren: Helena Marten
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vier Jahreszeiten gemalt und die neun Musen - Letztere waren ihr besonders gut gelungen, wie sie fand.
    Natürlich war es manchmal amüsant, im Salon der Mutter geistreichen Gesprächen zu lauschen und jungen Männern zuzublinzeln. Sie liebte es, in der Bibliothek des Vaters zu sitzen. Ein alter Hauslehrer hatte Georg und sie in Geschichte, Geografie, Grammatik, Algebra, Geometrie, Religion und Latein unterrichtet. Dann war irgendwann Mademoiselle Duplessis aufgetaucht, bei der sie Singen, Spinettspielen, Zeichnen und Sticken gelernt hatte. Dabei hatte man auf Französisch parliert. Um mehr über die Botanik zu lernen, hatte sie irgendwann ein Herbarium angelegt und angefangen, Pflanzen zu sammeln und zu trocknen. Vor dem Trocknen pflegte sie all die Anemonen, Glockenblumen, Butterblumen und Margeriten abzuzeichnen.
    Vor allem aber interessierte sie sich für Farben. Sie las nicht nur gern darüber oder kleidete sich in herrlich schillernde Stoffe und dekorierte ihr Zimmer mit bunten Kissen und Überwürfen, sondern sie arbeitete auch mit Farben. Kein Pigment, das in ihrem Atelier noch nicht zur Anwendung gekommen wäre. Außer Indischgelb.
    Friederike gluckste in sich hinein. In einem der Naturkundebücher ihres Vaters hatte sie gelesen, dass in Indien aus dem Urin von Kühen ein bestimmter Gelbton gewonnen wurde, ein dunkles, tiefes, rötliches Gelb. Vielleicht sollte sie den Apotheker tatsächlich
einmal darauf ansprechen. Doch ansonsten hatte sie wohl schon alles ausprobiert, was man anmischen konnte.
    Zum Glück duldeten die Eltern ihre Leidenschaft, weil sie Malen und Zeichnen für eine charmante Beschäftigung hielten. Einige junge Damen konnten nett sticken, sie konnte eben malen. Wenn die Eltern gewusst hätten, wie ernst sie es mit ihrer Kunst meinte, wären sie wohl sicher weniger tolerant gewesen. Nur Georg bekam mit, dass Friederike fast ihre ganze freie Zeit im Atelier verbrachte. Der einzige Grund, vermutete sie, weshalb er sie noch nicht verpetzt hatte, war sein ureigenes Interesse an ihrer Malerei. Doch weil sie so viel Zeit mit Malen zubrachte, musste sie sich bei all den anderen Aufgaben stets beeilen. Irgendwann war sie auf die Idee gekommen, die Magd mit kleinen Geschenken zu bestechen, damit sie das Sticken übernahm. Und außerdem hatte sie eine Technik entwickelt, sich aus sämtlichen Teegesellschaften, Kaffeekränzchen, Picknicks, Soireen, Maskenbällen, Spiel- und Tanzabenden der Mutter davonzuschleichen, ohne dass man ihr Fehlen bemerkte. Sie war immer rechtzeitig wieder da, bevor jemand stutzte. Sogar ohne Farbkleckse an Händen oder Kleidung. Wenn nur Georg sie nicht immer so anzüglich ansehen würde! Einmal hatte die Mutter seinen Blick bei einer solchen Gelegenheit aufgefangen und ihn vor allen Umstehenden gefragt, ob seine Schwester etwas ausgefressen habe, von dem sie nichts wissen dürfe, oder was sein Grinsen zu bedeuten habe. Friederike hatte sich nicht entscheiden können, wem sie lieber den Hals umgedreht hätte - ihm oder der Mutter.
    »Schwesterherz, wenn man dich so ansieht, kann man sich fast einen Theaterbesuch sparen. Erst schaust du böse, dann kicherst du in dich hinein und scheinst völlig verzückt, und dann hat man den Eindruck, als wolltest du gleich jemanden umbringen - ständig wechselt dein Mienenspiel! Woran denkst du, um Himmels willen?«
    Fast ein wenig erschrocken stand Georg plötzlich vor ihr und sah sie durchdringend an. Friederike hatte gar nicht bemerkt,
dass er aufgestanden und an ihren Tisch getreten war. Sein alkoholgeschwängerter Atem schlug ihr entgegen. Instinktiv wich sie zurück.
    »Lieber Bruder, du magst mich zwar wie eine Leibeigene für dich arbeiten lassen, aber mein Geist ist noch immer frei. Du willst doch nicht wirklich wissen, worüber ich gerade nachgedacht habe, oder?«
    Ein freundliches Lächeln sollte ihren Worten die Schärfe nehmen, doch Georgs Reaktion verriet, dass sie ihn offenbar gekränkt hatte.
    »Nun, Friederike, ich lasse dich jetzt lieber allein. Mir scheint, du hast genug zu tun. Ich erwarte, dass du dich bis morgen von nichts und niemandem mehr von deiner Arbeit ablenken lässt. Um sechs Uhr abends müssen die Figuren fertig sein, keine Minute später.«
    Mit einer knappen Verbeugung verabschiedete er sich und verließ mit flatternden Rockschößen den Raum.
    »Puh«, stöhnte Friederike und trat ans Fenster, vor dem es noch immer leise nieselte. Wenigstens hatte der Wind sich gelegt. Sie drehte an dem verschnörkelten
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