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Die Poison Diaries

Die Poison Diaries

Titel: Die Poison Diaries
Autoren: Maryrose Wood
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wirkt. Genau wie ich, will mir scheinen. Ich fürchte, dass Oleanders Stimme wiederkehrt. Bislang schweigt er. Hoffentlich verliere ich nicht den Verstand.
    D en ganzen Tag bis weit in den Abend hinein hallen die Klänge der Ernte von den Feldern wieder. Die Sensen schwingen von einer Seite zur anderen, und wie Soldaten, die sich einem übermächtigen Feind gegenübersehen, fallen die Halme. Reihe um Reihe werden sie niedergemäht.
    Heute Morgen habe ich es selbst beobachtet, als ich von einem Hof zum anderen ging, mit Heilmitteln, guten Ratschlägen und Trost im Gepäck. Jetzt, während ich mit Nadel und Faden hier sitze, versuche ich mir vorzustellen, was Weed gehört hätte, wenn er neben mir gegangen wäre – vermutlich ohrenbetäubende Schreie, während die Sense niedersauste.
    Verachtet uns das Getreide?
, frage ich mich unwillkürlich.
Dafür, dass wir es niedermähen?
    Meine Gedanken werden von dem Knacken und Zischen des Holzes unterbrochen, das im Kamin verbrennt. Auch die Scheite waren einmal lebendige Glieder eines Baums – vielleicht von einem der alten Bäume im Wald, mit ihren edlen, mächtigen Kronen und den merkwürdigen Geschichten.
    »Ein Feuer im Sommer«, sage ich, ohne von meiner Arbeit aufzusehen. »Das ist gewiss eine Verschwendung von Holz.«
    Vater, der vor dem Kamin gekniet hat, richtet sich grunzend auf. »Es zieht ein Sturm auf. Wenn der Wind heult, ist Wärme vonnöten.« Er nimmt sich einen Stuhl und blickt in die Flammen. »Jessamine, ich mache mir Sorgen um deine Gesundheit. Bislang habe ich nichts gesagt und darauf vertraut, dass die Zeit alle Wunden heilt, aber meine Sorge verbietet es mir, noch länger zu schweigen.«
    »So sprich.« Unwillkürlich bin ich auf der Hut.
    »Deine Krankheit ist nun schon eine geraume Zeit her. Äußerlich scheinst du völlig genesen und du widmest dich klaglos deiner Arbeit.« Gedankenverloren starrt er ins Feuer. »Aber an manchen Tagen liegst du bis spät in den Vormittag im Bett, als ob du gar nicht aufwachen wolltest. Deine Haut ist bleich, aber hin und wieder errötest du, vielleicht im schamhaften Gedenken an vergangene Sünden. Dann wieder starrst du ein Loch in die Luft, als ob du mit Geistern im Gespräch wärst. Und allzu oft ziehen sich Tränenspuren über deine Wangen.«
    »Kein Grund zur Sorge.« Wut brodelt in mir hoch, aber ich werde mich beherrschen. Mein Vater muss einen Grund für seine Worte haben. »Mein Körper ist wohlauf.«
    »Dein Körper ist jung und stark, Jessamine, und kann vieles aushalten. Was aber ist mit deinem Herzen?«
    Ich lege Nadel und Faden beiseite. »Mein Herz wird heilen, wenn Weed zurückkehrt.«
    »Das glaube ich nicht. Ich glaube, dein Herz wird erst dann genesen, wenn du akzeptierst, dass Weed fort ist.« Endlich blickt er auf. »Er ist fort und er wird niemals wiederkommen.«
    »Ich glaube dir nicht.« Wenn er mich provozieren will, dann hat er Erfolg. »Wieder und wieder erzählst du mir, dass Weed mich verlassen hat, dass er herzlos weggelaufen ist, während ich im Sterben lag. Bislang hatte ich noch nicht die Kraft, dir zu widersprechen. Jetzt tue ich es.«
    »Beruhige dich …«
    »Weed liebt mich. Wenn er sich von mir fernhält, dann hat er einen Grund dafür.«
    »Ich habe dir den Grund genannt. Er ist ein ganz gewöhnlicher Taugenichts, der dich entehrt und dann in unverzeihlicher Manier weggeworfen hat …«
    »Du hast mir Lügen erzählt. Denn ich weiß ganz genau, dass Weed jetzt in diesem Augenblick an meiner Seite wäre, wenn ihn nicht eine große Macht davon abhalten würde.«
    »Du hast also nichts von ihm gehört?«
    »Nein. Kein Wort.«
    Vater schaut mich an. Er wirkt zufrieden, und mir wird klar, dass er genau das erfahren wollte – ob ich Nachricht von Weed erhalten habe. Aber warum will er das wissen?
    Ich fühle mich nackt und bloßgestellt und schaue zur Seite, damit er die Tränen in meinen Augen nicht sieht.
    Welch eine Leidenschaft! Welch ein Leiden! Wie entzückend, meine Liebe. Und wie schade, dass du all das an diesen lächerlichen Jungen verschwendest, an diesen unreifen, unerwünschten Weed …
    Der Raum dreht sich um mich. Ich fasse mir an den Kopf.
    »Was ist mit dir, Jessamine? Ist dir nicht wohl? Lass mich dir einen Trank zubereiten.«
    Ich fühle mich schwach, aber das will ich Vater gegenüber nicht zugeben. Er schenkt mir etwas zu trinken ein und reicht es mir. Das Glas hängt vor meinen Lippen. In der wirbelnden Flüssigkeit sehe ich Bilder vor mir: ein
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