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Die Pinabriefe

Titel: Die Pinabriefe
Autoren: Martin Baltscheit
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»Wenn du etwas verloren hast und es suchen willst, musst du strategisch vorgehen! Strategisch ist, wenn man keine Ahnung hat, aber so tut!« Henrietta erinnert sich und macht eine Liste. Eine Liste mit einem Zeichen für jeden Raum, sie kann ja noch nicht schreiben. Ein Herd für die Küche, ein Fernseher für das Wohnzimmer, ein Besen für die Kammer, eine Blume für den Balkon, aber da ist sie bestimmt nicht! Wieso eigentlich? Henrietta läuft auf den Balkon. Gardine zurück, Hebel nach links, Tür auf. — Keine Pina! Henrietta hakt den Balkon auf ihrer Liste ab. Henrietta denkt nach:
       Wenn ich zurückkommen würde, dann stände ich vor der Haustür, so wie damals, als ich meinen Schlüssel verloren hatte, da habe ich auch vor der Tür auf Mama gewartet und dann ist Papa früher von der Arbeit gekommen und wir haben zusammen Essen gekocht und er hat Milch mit Honig gemacht, weil ich doch so durchgefroren war.
       Henrietta läuft zur Tür und überlegt schon, wo Mama den Honig stehen hat. Vorhang auf die Seite, Klinke runter, Blick in den Hausflur nichts.

    Aber da ist doch etwas. Ein Brief steckt hinter dem Klingel knöpf. Ein Brief? Ein Brief von Pina! Gestern hatte Henrietta sich noch gewundert, wieso Pina ihren Namen nicht wusste, aber heute steht er ganz groß auf dem Umschlag!
       HENRIETTA! Ihren eigenen Namen kann Henrietta schon lesen.
       Pina hat geschrieben!, denkt Henrietta und läuft zur dicken Nachbarin. Die muss ihn mir vorlesen!
       Haustürschlüssel, Tür zu und Henrietta poltert die Stufen hinunter. Bei der Nachbarin klingelt sie Sturm. Hinter der Tür ein dumpfes Schlurfen: »Ja, ja, ich komme schon!«
       Dann sitzt Henrietta am Küchentisch, und während die Nachbarin Milch aufkocht, bestaunt Henrietta ihren Morgenmantel. Es ist ein schwarzer Morgenmantel mit fliegenden Vögeln aus Gold.
       »Ist das echtes Gold?«
       »Nee, das tut nur so!«, sagt die Nachbarin. »Aber die Chinesen lieben Gold, das leuchtet von innen, so wie ich!«
       »Ist der Mantel aus China?«, fragt Henrietta.
       »Ach was, der ist vom Schlussverkauf. Das einzig Chinesische hier ist meine Frühlingsrolle!« Die dicke Nachbarin lacht und kneift sich in die Seite, so dass es eigentlich weh tun müsste! Dann knotet sie den Mantel fester um ihren Bauch.
       »Also! Du hast Post bekommen?«, fragt sie.

 

Henrietta schiebt den Brief über den Tisch.
       »Von Pina! Und diesmal steht auch mein Name drauf. Kannst du ihn mir vorlesen?«
       Die dicke Nachbarin nimmt ihre Brille von einem Stapel Zeitungen, wischt sich mit dem Ärmel über den Mund und öffnet den Brief:

    Die Nachbarin legt den Brief auf den Tisch: »Das ist aber ein schöner Brief!«
    »Mmh«, Henrietta sieht sich den Brief genauer an. Kariertes Papier und schwarzer Kugelschreiber. »Gestern hat Pina mit Bleistift geschrieben.«
       »Ach ja?« Die dicke Nachbarin stellt zwei neue Scheiben Brot in den Toaster.
       »Was glaubst du, kann ich ihr zurückschreiben?«, fragt Henrietta.
       »Ist denn ein Absender auf dem Umschlag?«
       »Ein was?«
       »Na ein Absender, jeder Brief hat einen Absender, damit man weiß, von wem der kommt!«
       »Nee, da ist nichts!«
       »Na ja, ich glaub auch nicht, dass die Post weiß, wo das Regenbogenland ist!«
       Die Nachbarin schüttet Henrietta heiße Milch in ein Glas: »Willste Kakao?«
       Henrietta kuckt aus dem Fenster.
       »Sieh mal, da ist der Franz!«
       Die beiden sehen, wie Franz die Blumen gießt. Er hält einen Finger vor den Schlauch und das Wasser sprüht in einer hohen Fontäne gegen das Sonnenlicht.
       »Wieso lädst du den Franz nicht mal zum Frühstück ein?«, will Henrietta wissen.
        »Den Franz? Aber der redet doch nicht! Sagt höchstens 'hmm', oder 'ja, ja', das ist zu wenig für eine Unterhaltung.«
       Henrietta entdeckt das bunte Licht in Franz' Sprühwasser.
       »Sieh mal! Regenbögen!«
       »Ja, ja«, murmelt die dicke Nachbarin un d beißt in ihren Marmeladentoast. »Regenbögen kann er machen!«

3. KAPITEL VON ABGEDREHTEN KÖPFEN UND GOLDENEN MÄNTELN
    Henrietta schläft, sie hält ihren Storch fest im Arm und träumt von einem neuen Pinabrief. Ein Stockwerk tiefer, in der vierten Etage, sitzt die Nachbarin, schaut einen Film und hofft auf ein glückliches Ende, als plötzlich der Strom ausfällt. Paff! Sicherung raus stockfinster.
       Wie blöd, denkt die Nachbarin, jetzt werde
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