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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin
Autoren: Iny Lorentz
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zu überwachen, die eben begannen, die Fässer mit Salzheringen auf den ersten Boden zu hieven.
    »Aber ich wollte …«, begann Sebastian. Das »nach Gürtler schauen« verbiss er sich, denn sein Vater war schon weitergeeilt und betrat gerade das Wohnhaus, welches im Gegensatz zum Stall und den Stapelhallen nicht aus Fachwerk bestand, sondern aus Sandsteinblöcken gemauert war.
    Grummelnd blieb Sebastian zurück und gesellte sich zu den Knechten, die die Salzheringe und andere, nicht besonderswertvolle Handelsgüter in den beiden Warenscheuern verstauten. Edlere Waren wie Stoffe aus Flandern, Pelze und dergleichen wurden auf dem obersten Boden des Wohnhauses gestapelt, weil sie dort vor Dieben geschützt waren.
    »Schafft endlich die Fässer vom Hof!« Sebastian gab sich keine Mühe, seinen Ärger vor den Knechten zu verbergen. Die meisten von ihnen hatten ihn aufwachsen sehen und gaben nichts auf seine schlechte Stimmung. Wie sie ihn kannten, würde er nach ein, zwei Witzen mit ihnen um die Wette lachen, denn er war kein Antreiber wie sein Bruder, der mit harschen Worten und Drohungen reagierte, wenn seine Untergebenen die Arbeit ein wenig gemütlich angehen ließen.
    Kaum wurden wieder jene Bemerkungen und Anzüglichkeiten gewechselt, mit denen die Männer ihre Arbeit würzten, erschien Damian Laux in der Tür zum Wohnhaus und ließ allein durch sein Auftreten die Gespräche verstummen. Während Sebastian noch schlaksig wirkte, aber als ausnehmend hübsch galt, war Damian wuchtig gebaut und hatte ein kantiges, energisch wirkendes Gesicht mit hellen Augen, denen nichts zu entgehen schien. Er trug einen hüftlangen, grünen Überrock über einem hellen Hemd, das bis zu den Knien reichte und gemusterte Strümpfe freigab, die in bequemen Lederschuhen endeten. Auf seinem Kopf saß eine tannengrüne Kappe, unter der nur die Spitzen seiner dunkelblonden Haare hervorlugten.
    Im Gegensatz zu ihm war Sebastian stutzerhaft gekleidet, und seine Farbwahl konnte man nur unglücklich nennen, denn er hatte zu einem dunkelroten Rock hellrote Strümpfe angezogen und einen kurzen Umhang übergeworfen, dessen grelle Farbe etwa zwischen den beiden anderen Rottönen lag. Damians Lippen kräuselten sich bei diesem Anblick, doch er beging nicht den Fehler, ihn wegzuschicken, damit er sich umkleiden solle.
    »Es freut mich, dass du mal ans Arbeiten denkst! Die meiste Zeit bleibt nämlich alles an mir hängen«, sagte er und grüßte die Knechte mit einem leichten Kopfnicken.
    »Ich muss noch einmal weg, um etwas für Vater zu erledigen«, antwortete Sebastian in der Hoffnung, der ihm aufgetragenen Arbeit entgehen zu können. Damit kam er bei seinem Bruder jedoch schlecht an.
    Damian interessierte sich nur für das Handelshaus. Die politischen Angelegenheiten der Stadt gingen nach seinem Dafürhalten weder ihn noch Sebastian etwas an. Irgendwann einmal, wenn Koloman Laux in die Ewigkeit eingegangen war, würde er dessen Sitz im Hohen Rat der Stadt erben und selbst Bürgermeister werden, doch diese Zeit wünschte er in sehr weite Ferne. Er liebte es, Warenströme zu leiten und das Vermögen der Familie zu vermehren, und erwartete von Sebastian, dass dieser ihn mit aller Kraft unterstützte. Das sagte er ihm nun mit sehr deutlichen Worten.
    Es war die zweite Standpauke, die Sebastian an diesem Tag über sich ergehen lassen musste, und sie war in seinen Augen ebenso unberechtigt wie die erste. Er wusste jedoch, dass es keinen Sinn hatte, sich zu beschweren. Daher senkte er den Kopf, um seine Miene zu verbergen. Die Leidtragenden der Situation waren die Knechte, denn kaum hatte sein Bruder den Hof verlassen, trieb Sebastian sie unbarmherzig an, um so schnell wie möglich fertig zu werden und weiteren Aufgaben zu entgehen. In dem Augenblick, in dem das letzte Fass auf den Boden gezogen worden war, trat er durch das Tor und eilte die Straße hinab, um nachzusehen, ob der Bayer noch bei Gürtler weilte. Dann wollte er sich in die Krone setzen und den Gesprächen der Ratsherren und einflussreicheren Bürger lauschen, in der Hoffnung, etwas Wichtiges aufschnappen zu können. Ihm war klar, dass Gürtler unddessen Freunde ihre Verschwörung nicht im Wirtshaus ausposaunten, doch wenn Fortuna ihm gewogen war, gab sie ihm vielleicht einen Zipfel des Geheimnisses in die Hand.
    Ihn beunruhigte, dass sein Vater Gürtlers Umtriebe auf die leichte Schulter nahm, denn er hatte sich gründlich mit den beiden Versuchen der Herzöge von Bayern beschäftigt, sich
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