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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin
Autoren: Iny Lorentz
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Georg von Kadelburg bei dessen ärgstem Widersacher im Rat zu berichten. Danach hatte er wieder seiner Wege gehen wollen, aber nun musste er ihm wie ein gescholtener Knabe nach Hause folgen. Dort würde er seinem Bruder in die Arme laufen, der keine Gelegenheit ausließ, an ihm herumzumäkeln. Damian war der Grund, der ihn veranlasste, sein Elternhaus tagsüber so oft wie möglich zu verlassen. Dabei war er sehr stolz auf das Anwesen seiner Familie. Es gehörte zu den prächtigsten in Tremmlingen und bestand aus einem an der Straße gelegenen Wohnhaus, einem Stall für Pferde und Ochsen, einer Remise mit verschiedenen Frachtwagen und Kutschen sowie zwei großen Gebäuden für die Waren, die sein Vater als Kaufherr umschlug. Es gab nur noch zwei Patrizierhäuser in der Stadt, die sich mit dem seines Vaters messen konnten. Das eine gehörte Eckhardt Willinger und das andere Veit Gürtler. Solange Willinger gesund gewesen war, hatten er und sein Vater Gürtler und dessen Anhang im Zaum halten können. Nun aber drohten sich die Machtverhältnisse im Rat zu verschieben, und Sebastian konnte seinem Vater ansehen, wie stark dieser das Ableben seines Freundes fürchtete.
    Der Ratsherr blickte seinen Sohn fragend an. »Weißt du, wie Otfried Willinger zu Gürtler steht?«
    Noch während Laux die Frage stellte, bereute er sie. Sebastian würde seine Worte höchstwahrscheinlich als Auftrag ansehen, beide zu überwachen, und sich dabei so dilettantisch anstellen, dass es auf ihn zurückfallen musste.
    »Sie sitzen in der Krone am selben Tisch«, antwortete Sebastian nachdenklich.
    Diese Auskunft war nicht besonders ergiebig, denn die Gastwirtschaft war Treffpunkt der Kaufherren und reicheren Gildemeister. Dort saßen Willinger und Gürtler nach altem Brauch an dem Tisch, der den Ratsherren vorbehalten war. Da der alte Willinger krank war, vertrat sein Sohn ihn dort. Laux suchte ebenfalls ein- oder zweimal die Woche das Gasthaus auf, um mit den anderen Kaufherren und Ratsmitgliedern im privaten Rahmen zu reden, aber er hatte Otfried dort noch nie angetroffen. Es war, als wolle ihm Willingers Sohn aus dem Weg gehen.
    Er ging nicht auf die Bemerkung seines Sohnes ein, sondern ermahnte ihn noch einmal. »Lass dir nicht einfallen, Dummheiten zu machen! Damian wird dir, wenn wir nach Hause kommen, deine Aufgaben zuteilen, und diesmal wirst du sie zu seiner und meiner Zufriedenheit erledigen. Ab heute ist Schluss mit dem Herumlungern vor fremden Häusern! Sollen die Leute denken, der jüngere Sohn ihres Bürgermeisters sei ein Tunichtgut, der jeder Arbeit aus dem Weg geht?«
    Sebastian ließ den Kopf hängen, denn sein Vater hatte nicht ganz Unrecht. In seinem Bestreben, ihn mit Informationen zu versorgen, hatte er schon einige Male übersehen, dass es auch andere Pflichten für ihn gab. Dennoch versuchte er, sein Handeln zu rechtfertigen. »Du musst dich nicht sorgen, Vater! Ich benehme mich wirklich ganz unauffällig. Die Leute merken nicht, dass ich die Ohren offen halte. Mir ist es vor ein paar Tagen sogar gelungen, Gürtler und Otfried Willinger zu belauschen, als diese sich in der Krone über Tilla unterhalten haben. Gürtler hat sich bei Otfried beklagt, weil er um das Mädchen hat freien wollen und vom alten Willinger abgewiesen worden ist.«
    Laux blieb stehen und kniff die Augen zusammen, entspannte sich aber sofort wieder. »Tilla wird Damians Weib, das haben ihr Vater und ich beschlossen. Daher ist es eine doppelte Schande, wenn in der Wirtschaft über sie geredet wird.«
    »Sie haben ihren Namen nicht fallen lassen, sondern sich hauptsächlich über die Mitgift unterhalten, die Willinger ihr zugeschrieben hat«, rückte Sebastian seine Aussage ein wenig zurecht.
    Unterdessen hatten sie den Zugang ihres Anwesens erreicht. Das Tor war nur angelehnt und so traten sie ein, ohne auf den Knecht zu warten, der Wache halten und es öffnen sollte. Der hatte sich im hinteren Teil des Hofes aufgehalten und eilte nun herbei. »Verzeiht, Herr, aber ich musste beim Kran aushelfen. Es waren zu wenige Männer da, um die schweren Fässer hochziehen zu können«, rief er atemlos.
    »Ist schon gut!« Laux klopfte dem Knecht im Vorbeigehen auf die Schulter und schritt über den Hof, ohne sich um den Fortgang der Arbeiten zu kümmern. Seit er als Bürgermeister amtierte, war dies die Aufgabe seines älteren Sohnes und Damian machte seine Sache gut.
    »Nimm dir ein Beispiel an deinem Bruder!«, sagte er zu Sebastian und befahl ihm, die Männer
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