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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin
Autoren: Iny Lorentz
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bedroht sahen, gab es in ihren Augen nur Rettung, wenn sie sich unter den Schutz Christi, der Muttergottes und der Heiligen stellten. Dies geschah mit einem Gelübde, das zumeist das Versprechen einer Wallfahrt enthielt. Oft handelte es sich dabei um Reisen zu nahe gelegenen heiligen Orten, doch es gab drei große Pilgerziele, die alle anderen weit überragten. Das erste war Jerusalem, die Stadt, in der Jesus Christus starb. Bis dorthin aber war es ein weiter Weg, der zudem über das Meer und in ein von Moslems beherrschtes Land führte. Der zweitheiligste Ort war Rom mit den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus. Verlockender als beide aber war jener ferne Ort am Rande der bekannten Welt, zu dem der Leichnam des Apostels Jakobus auf wundersame Weise gelangt sein sollte. Wer den Weg nach Jerusalem wegen seiner Gefahren und der Unwägbarkeiten scheute, Rom aber als zu nahe und eine Pilgerreise dorthin als zu wenigentbehrungsreich für die Ernsthaftigkeit seines Gelübdes empfand, entschied sich für den Fußmarsch nach Santiago de Compostela.
    Die Zahlen der Pilger schwankten, doch in den großen Zeiten der Santiago-Wallfahrten machten sich Jahr für Jahr Zehntausende dorthin auf den Weg. Nicht jeder, der eine solche Pilgerfahrt gelobt hatte, reiste selbst dorthin, denn es war gestattet, jemand zu schicken, der stellvertretend am Grabe des Apostels für die Seele des anderen beten sollte. Die meisten jedoch zogen auf eigenen Wunsch dorthin, beseelt von der Vorstellung, dem Heiligen für eine Gnade danken zu müssen oder eine von ihm erbitten zu wollen. In der Angst um ihr Seelenheil mühten sich lässliche Sünder und Menschen, deren Lebensweg von schlimmen Taten gepflastert war, gleichermaßen über die Pilgerstraßen Deutschlands, Frankreichs und Spaniens, bis sie das ersehnte Ziel erreichten oder unterwegs ihr Grab fanden. Krieg und Not vermochten die Santiago-Pilgerfahrten nie ganz zum Stillstand zu bringen. Selbst der Hundertjährige Krieg, der zu der Zeit dieses Romans, also 1368 bis 1369, von einem Waffenstillstand zwischen dem englischen König Eduard und Frankreichs König Karl unterbrochen wurde, machte da keine Ausnahme. Obwohl in Frankreich die Waffen schwiegen, wurde der Krieg stellvertretend in Kastilien weitergeführt. König Peter von Kastilien, später von den Historikern »Der Grausame« genannt, war nicht nur mit England verbündet, sondern auch Schwiegervater zweier SöhneKönig Eduards und wollte einen von diesen als seinen Nachfolger auf dem Thron sehen.
    Peter gegenüber stand sein Halbbruder Heinrich, Graf von Trastamara, der von Frankreich unterstützt wurde. 1367 war es Peter zusammen mit Eduard, dem Schwarzen Prinzen, gelungen, seinen Rivalen zu besiegen, doch verlor er die Unterstützung des Prinzen von Wales durch die Nichteinhaltung gegebener Versprechen. Als Heinrich von Trastamara im Jahr darauf mit Hilfe des französischen Heerführers Bertrand du Guesclin erneut den Griff nach der Krone wagte, verweigerte Prinz Eduard seinem Verbündeten Peter die Unterstützung. Der Krieg endete mit Peters Tod und Heinrichs Thronbesteigung. Für England stellte die darauf folgende Hinwendung Kastiliens zu Frankreich eine Katastrophe dar, die massiv zum Verlust des größten Teils seiner französischen Besitzungen beitrug.
    Weitere Beteiligte an dem diffizilen Spiel um Macht und Einfluss im Süden Frankreichs waren König Karl von Navarra, der, obwohl französischer Abkunft, Partei gegen sein Heimatland ergriff, sowie Gaston III. Fébus, der sich als Herr der Grafschaften Foix und Bigorre sowie der Vizegrafschaft Béarn zum mächtigsten Regenten des französischen Pyrenäenvorlands aufgeschwungen hatte. Von beiden Seiten umworben schwankte er lange, welcher Seite er sich zuwenden sollte. Als er schließlich ein Bündnis mit Frankreich einging, war dies für England beinahe ebenso fatal wie der Verlust seines kastilischen Verbündeten.
    Weiter behandelt dieser Roman die Belange des kleinen, fiktiven Reichsstädtchens Tremmlingen. Gemäß meinem Vorsatz, keine Handlungen in einem realen Ort anzusiedeln, die dort in ähnlicher Weise nie geschehen sind, habe ich diese Stadt bewusst erfunden. Vorbild für Tremmlingen ist die Stadt Schwäbisch Wörth, die heute als Donauwörth bekannt ist. Donauwörth erlitt abgesehen von dem von uns geschilderten Bürgerkampf ein ähnliches Schicksal wie Tremmlingen. Von Kaiser Ludwig dem Bayern in Besitz genommen, wurde die Reichsfreiheit durch seinen Nachfolger Karl IV.
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