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Die Pfanne brät nicht!

Die Pfanne brät nicht!

Titel: Die Pfanne brät nicht!
Autoren: Alice Diestel
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gesamten Sortiments auf den Pfennig genau im Kopf.
    Ein Kunde steht mit offenem Mund staunend vor mir und glotzt mich an:
    «Wie machen Sie das?»
    Ich sehe ihn verständnislos an: «Was?»
    «Na, wo haben Sie das? Im Kopf?»
    Jahaaaaa, damals waren wir noch schlau! Da mussten wir unsere grauen Zellen noch anstrengen. Aber dann wurde die Piep-Show eröffnet. Der Scanner hielt Einzug, und – … piep … piep … piep … – abrupt war die Bewunderung für uns dahin. Die Genies wurden kurzerhand vom Podest geschubst und von heute auf morgen zu Dummchen erklärt. Heute müssen wir während unserer Pause Kreuzworträtsel lösen oder Gehirnjogging mit Dr. Kawashima betreiben, um im Köpfchen helle zu bleiben.
    «Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut!»
    Natürlich ist auch das Niveau der Kassiererinnen im THEO durch die Scannerkassen gesunken. Heute werden so manche Mädels eingestellt, die früher den Sprung in die sagenumwobene Elitetruppe nie geschafft hätten.
    Ich bin damit beschäftigt, leere Kartons einzusammeln. Ein kleiner Junge hilft mir ganz stolz dabei. Sein Vater, der schnell weiterwill, bemerkt dann, ohne sich dabei etwas zu denken:
    «Ja, wenn du mal schlecht in der Schule bist, kannst du ja bei THEO arbeiten. Aber jetzt komm!»
    Oder:
    «Sie sind doch geistig nicht auf der Höhe!»
    Diese überaus nette und noch dazu völlig ernst gemeinte Aussage gilt mir. Und kommt von einem Herrn, der es nicht auf die Reihe kriegt, seinen Einkauf zu bezahlen, sondern umständlich mit seinen zahlreichen Münzen herumjongliert. Und mir Beträge anbietet, die mit dem, was er zu zahlen hat, nicht das Geringste zu tun haben.
    Und überhaupt! Da gab es doch vor einiger Zeit den «Großen deutschen IQ -Test» im Fernsehen. Nach PISA sind solche Sendungen ja der große Renner, um uns selber beweisen zu können, dass wir Deutschen gar nicht so dämlich sind, wie alle glauben.
    Nun, die Aussagekraft dieser Tests und die Verlässlichkeit ihrer Ergebnisse seien einmal dahingestellt. ABER – ich will ja nicht prahlen, NEIN : Laut Auswertung hatte ich den zweithöchsten IQ im Saal und zählte damit zu den «deutlich überdurchschnittlich Intelligenten». Ein Punkt vor «hochbegabt»! Wow – da schwillt mir doch glatt die Brust vor Stolz. Ich wusste gar nicht, dass aus diesem grauen THEO -Blüschen solch ein schlauer Kopf hinausschaut. Und trotzdem arbeite ich gerne hier in diesem Saftladen! Bloß – die Kunden haben leider Gottes nicht die leiseste Ahnung, dass sie vor einem weiblichen Einstein stehen. Ist das nicht glatt Perlen vor die Säue werfen? Soll ich das dem Blödmann jetzt auf die Nase binden? «Geistig nicht auf der Höhe!» PAAH !
    Aber mal ernsthaft. In solchen Momenten zweifle ich wirklich an dem, was ich hier tue. Ob ich das nötig habe, mir solche abwertenden Sprüche anzuhören und überhaupt diesen allgemein nicht besonders anerkannten Job auszuüben? An den THEO -Kassen sitzen zwar nicht ausschließlich Genies, aber wir sind doch gut durchmischt. Bevor wir – meist nach der Kinderpause – an THEO s Kasse gelandet oder, besser gesagt, gestrandet sind, waren wir Krankenschwestern und Chefsekretärinnen, Friseurinnen und Sachbearbeiterinnen, Fleischereifachverkäuferinnen, Hotelfachfrauen und Fremdsprachenkorrespondentinnen. Wozu haben einige von uns ihr Abitur gemacht? Wozu kann die eine oder andere gar ein abgeschlossenes Studium vorweisen? Wozu haben manche von uns große Teile der Welt gesehen, Länder bereist, von denen andere nicht mal wissen, wo sie liegen? Um uns so etwas gefallen zu lassen?
    Aber … wir sind schließlich freiwillig hier. Niemand zwingt uns. Es steht uns völlig frei, zu gehen oder zu bleiben.
    «Das hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut!», kommt der bewundernde Kommentar einer Kundin, die meinen Auftritt bei einer Theateraufführung gesehen hatte.
    Ich entgegne: «Ja, stellen Sie sich vor, bevor ich zu THEO kam, habe ich sogar eine Schule besucht.»
    Inzwischen haben wir uns also mit unserem selbstgewählten Schicksal versöhnt und mit dem unterirdischen Stellenwert unseres Jobs in der Gesellschaft abgefunden. Zynischer ausgedrückt: Wir sind käuflich geworden. Denn die Entlohnung für die körperlichen Strapazen ist im Großen und Ganzen angemessen, und somit ist auch unsere Einstellung zur Arbeit gefestigt.
    Aber das war nicht immer so.
    Bei Klassentreffen zitterte man schon den ganzen Abend, denn die Frage kam früher oder später so sicher wie das Amen in der Kirche.
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