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Die Pest zu London

Die Pest zu London

Titel: Die Pest zu London
Autoren: Daniel Defoe
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einer Eingebung des Himmels, die Stadt nicht zu verlassen, spreche, das sei einfach lächerlich; ich hätte ja doch gesunde Glieder und andere Diener und es werde mir nichts ausmachen, einen oder zwei Tage zu Fuß zu reisen, und zumal ich eine gültige Gesundheitsbescheinigung besäße, könne ich gut unterwegs ein Pferd mieten oder die Post nehmen, wie immer es mir passe.
    Dann ging er dazu über, mir von den unheilvollen Folgen zu erzählen, die die Vermessenheit der Türken und Mohammeda-ner in Asien und anderswo nach sich zieht; (mein Bruder, der Kaufmann war, hatte bis vor einigen Jahren, wie ich schon bemerkte, im Ausland gelebt und war zuletzt von Lissabon aus zurückgekehrt) wie diese, im sicheren Verlaß auf ihren Vorherbestimmungsglauben und überzeugt, daß jedes Menschen Lebenslauf unumstößlich im Vorhinein festgelegt sei, sorglos verseuchte Orte betreten und mit infizierten Personen Umgang pflegen, durch welches Verhalten sie zu Zehn- oder Fünfzehn-tausend in der Woche dahinsterben, während die christlichen Kaufleute aus Europa sich vorsichtig zurückhalten und so im allgemeinen der Ansteckung entgehen.
    Diese guten Gründe meines Bruders änderten meinen Entschluß wieder, und ich begann nun doch, alles für die Abreise fertig zu machen; denn, um das nur kurz zu erwähnen, die Ansteckung nahm um mich herum zu, die Todesziffern stiegen auf beinahe siebenhundert die Woche, und mein Bruder sagte, er werde es nicht auf sich nehmen, noch länger zu warten. Ich 18

    sprach den Wunsch aus, er möge mir noch bis zum nächsten Tag Zeit zum Überlegen geben, dann würde ich mich entscheiden; und da ich alle Vorbereitungen, so gut es ging, schon getroffen hatte, auch was das Geschäft betraf und wem ich es anvertrauen sollte, so hatte ich eigentlich nichts anders zu tun, als diesen Entschluß zu fassen.
    Ich kam an diesem Abend in sehr bedrückter Verfassung heim, unentschlossen und nicht wissend, was ich tun sollte.
    Ich hatte mir den ganzen Abend ausschließlich dafür freigehalten, gründlich über die Sache nachzudenken, und war ganz allein; denn schon hatte man, als ob durch allgemeine Übereinkunft, die Sitte aufgenommen, nach Sonnenuntergang nicht mehr außer Haus zu gehen; auf die Gründe dafür werde ich bei Gelegenheit noch zu sprechen kommen.
    In der Zurückgezogenheit dieses Abends bemühte ich mich, zu einem Entschluß zu kommen, hauptsächlich, mir klar zu werden, was meine Pflicht war zu tun. Ich hielt mir all die Gründe vor, mit denen mein Bruder mich gedrängt hatte, aufs Land zu gehen, und ich stellte ihnen die starken Beweggründe gegenüber, die in meinem Geist für ein Verbleiben sprachen; war nicht der besondere Umstand meines Berufes, daß die Erhaltung meiner Effekten gewissermaßen von meiner Stan-desehre eine sorgfältige Pflege erheischte, schon ein deutlicher Hinweis? Und dann die Eingebungen, von denen ich glaubte, daß sie von oben kämen: Wiesen sie mich nicht beinahe an, wagemutig zu sein? Und es schien mir so einleuchtend, daß, wenn ich eine, wie ich es nennen mochte, Anweisung zum Bleiben hatte, ich auch unterstellen dürfe, sie enthalte das Versprechen des Bewahrtwerdens, wenn ich ihr Folge leistete.
    Das schien mir überzeugend, und ich fühlte mich mehr denn je in der Seele ermutigt zu bleiben, wobei mir die geheime Gewißheit, daß ich am Leben bleiben würde, Sicherheit gab.
    Hinzu kam dann, daß, während ich in der vor mir liegenden Bibel blätterte und meine Gedanken mit mehr als gewöhnli-19

    chem Ernst bei der Frage verweilten, ich solche Rufe ausstieß wie: »Ach, ich weiß nicht, was ich tun soll! Herr, gib mir eine Weisung!« In einem solchen Augenblick hielt ich auf einmal im Blättern inne, und mein Blick fiel auf den zweiten Vers des 91. Psalms, und ich las weiter bis zum siebenten Vers, und dann noch den zehnten, und sie lauteten: »Der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. Denn Er errettet dich vom Strick des Jägers und von der schädlichen Pestilenz. Er wird dich mit Seinen Fittichen decken, und deine Zuversicht wird sein unter Seinen Flügeln.
    Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, daß du nicht erschrek-ken müssest vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen, vor der Pestilenz, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die im Mittage verderbt. Ob tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es dich nicht treffen. – Es wird dir kein Übel begegnen, und
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