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Die Perlenzüchterin

Die Perlenzüchterin

Titel: Die Perlenzüchterin
Autoren: Di Morrissey
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stand eine schlanke junge Frau neben ihrem Geländewagen am Rand einer unbefestigten Straße – in diesen Gegenden der armselige Ersatz für eine richtige Straße. Ihr Aussehen fiel auf: honigfarbenes Haar, große dunkle Augen, ein breites Gesicht mit einem seltenen, aber dann strahlenden Lächeln. Auf der Suche nach genau der richtigen Kombination von Farbe und Form ging sie ein Stück in den Busch hinein. Schließlich hob sie den Fotoapparat und nahm die heiße sienafarbene Erde und die fantastische Gestalt eines Baobab-Baums ins Visier, den knolligen Unterkörper, die knolligen Hüften, die schmale Taille und den Oberkörper, dessen nach allen Seiten hervorschießende dünne Arme am Himmel kratzten. Vor dem Hintergrund des strahlend blauen Himmels bot er einen herrlichen, wenn auch einsamen Anblick. Sie fragte sich, ob diese Landschaft schon vor Hunderten von Jahren so ausgesehen haben mochte.
    Doch plötzlich drang das einundzwanzigste Jahrhundert in ihre Gedanken. Von ferne näherte sich rasch eine Staubwolke über die Piste, die unebene Arterie, die die weit auseinander liegenden Ländereien und Aborigine-Gemeinden mit der Zivilisation verband. Ein klobiger Kleinbus näherte sich rumpelnd, und Sami Barton zog sich das Musselintuch vors Gesicht, um es gegen den feinen roten Staub zu schützen. In dem Fahrzeug, eine Sonderanfertigung, saßen neun Touristen und erhaschten durch abgetönte Scheiben flüchtige Blicke auf das Outback. Der Fahrer bremste ab, doch Sami trat vor, lächelte und bedeutete ihm mit erhobenem Daumen, dass alles in Ordnung sei. Als der Bus sich entfernte, stieg Sami wieder in ihr Auto. Das Gefühl, völlig allein zu sein, war nun ruiniert. Sie sah auf den Beifahrersitz und grinste. »Touristen, Rakka. Man kann ihnen nicht entgehen, nicht mal hier draußen.«
    Zwei Stunden weiter die Straße entlang fand sie einen geeigneten Platz für ein Nachtlager in der Nähe einer Reihe verkrüppelter Bäume. Sie zogen sich eine flache Sandfurche entlang, die in den seltenen Regenperioden vermutlich als Flüsschen durchging. Ein Stück abseits der Straße schlug sie ihr »Instant-Lager« auf: ein kleines Schutzzelt und einen Gaskocher. Selbst wenn sie ein Lagerfeuer machte, kochte sie ihre Mahlzeiten meist lieber auf dem Kocher. Es gab Grenzen für ihre Bereitschaft, zum
bushy
 – Buschbewohner – zu werden. Sie glaubte, sie hätte an alles gedacht, zumal so viele Menschen ihren Rat angeboten oder sie davor gewarnt hatten, allein loszufahren. Doch so gut sie sich auch vorbereitet fühlte, so sehr war ihr bewusst, dass sie in einer außerordentlich verlassenen Gegend allein war.
    Sobald das Abendlicht schwand, fiel die Temperatur, und sie zog eine Jacke über. Die schmale Silbersichel des Neumonds erschien am Himmel. Für den überwältigenden Genuss eines Sternenhimmels fern jeder Stadt war es aber noch nicht dunkel genug. Nicht zum ersten Mal auf dieser Reise überkam Sami ein Gefühl von Einsamkeit und Angst vor dem Unbekannten. Sie wusste jedoch, dass diese Gefühle nicht nur von der fremden Umgebung geweckt wurden. Sami schien es, als triebe sie gegen besseres Wissen und gegen ihren Willen in eine Konfrontation mit einem Teil ihrer Herkunft, zu dem sie sich nie richtig bekannt hatte, von dem sie eigentlich auch nichts hatte wissen wollen. Sie spürte ganz intensiv, dass es in der Isoliertheit dieser minimalistischen Landschaft kein Entrinnen für sie gab. Hier draußen sprang ihr die Vergangenheit ins Auge.
    In Augenblicken wie diesem suchte sie stets Trost bei ihrer Reisebegleiterin – einer drei Jahre alten roten Kelpie-Hündin namens Rakka. Sie war ihr eine ergebene Freundin, in ihren Augen konnte Sami nichts falsch machen. Rakka war klug und schützte Sami mit ihrem Leben. Hinter ihrer verspielten Art, dem freundlichen Gesicht und dem schlanken, aber kräftigen Körper verbarg sich eine Intelligenz, auf die Sami vertraute. Rakka besaß einen sechsten Sinn für Menschen, und wenn die Hündin angespannt und mit angelegten Ohren dicht neben Sami stand, wusste diese, dass jemand nicht vertrauenswürdig war.
    Später, als Rakka nach einem einfachen Mahl am Lagerfeuer zu ihren Füßen lag, konnte Sami ihren Gedanken freien Lauf lassen. Immer deutlicher sah sie, welche Ironie in dieser Reise lag. Sie hatte sich ganz bewusst im Privatleben und Studium von der Aborigine-Problematik fern gehalten – und da war sie nun, unterwegs zu einer entlegenen Aborigine-Gemeinde, um etwas über ihre uralte
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