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Die Perlenzüchterin

Die Perlenzüchterin

Titel: Die Perlenzüchterin
Autoren: Di Morrissey
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hier zu sein. Ich melde mich wohl besser an der Rezeption und sage dem großen Boss Martin guten Tag.«
    Blossom lief bereits die Treppe hinauf, zum oberen Eckapartment. Mühelos trug sie Lilys Tasche. »Keine Hektik. Alle wissen, dass du heute Nachmittag ankommst. Gehst du heute Abend zu Paulines großer Eröffnungsfeier?«
    »Ja. Aber zuerst muss ich mich ausruhen. Ich bin um fünf Uhr aufgestanden. Sydney scheint schon eine Ewigkeit her.«
    »Für dich gilt jetzt die Zeit von Broome. Immer mit der Ruhe.«
    »Ich werde mich ernsthaft bemühen«, erwiderte Lily ebenso entschlossen wie unbekümmert. Blossom legte die Tasche aufs Doppelbett. Sie war mit Mitte vierzig im Urlaub nach Broome geraten, hatte sich das Broome-Virus zugezogen, wie sie es nannte, und war geblieben. Sie trug Khakishorts, ein T-Shirt und feste Stiefel, aber um den Hals eine wunderschöne Perle an einer Goldkette. »Die ist neu«, sagte Lily und berührte die Perle ganz leicht. »Hast du dir was Gutes getan?«
    »Klar, warum auch nicht? Jede Frau in Broome hat ein, zwei Perlen.«
    »Ich bin gespannt, was Pauline sich hat einfallen lassen. Was ich über ihren Perlen- und Muschelschmuck gehört habe, klang wundervoll.«
    »Die Party müsste eigentlich toll werden. Ich wünsche dir viel Spaß. Wenn du was brauchst, schrei einfach, Lily.«
    »Mache ich. Danke, Blossom.«
    Lily ging auf den Balkon, lehnte sich übers Geländer und nahm die Landschaft in sich auf. An der Roebuck Bay, einer glitzernden Fläche in Eisvogelblau und Türkis, die sich bis zum Horizont erstreckte, konnte sie sich nicht satt sehen. Milchig-weiße Wirbel bildeten sich zwischen den Mangroven, die den Rasen unter ihr säumten. Draußen in der Bucht ankerte ein Viehtransporter aus Indonesien, näher zum Ufer hin lagen private Kreuzfahrtschiffe und Jachten verstreut, und in der Ferne an der lang gezogenen Mole sah man ein Containerschiff aus Perth.
    Unwillkürlich verglich sie, wie sie sich jetzt fühlte und wie damals, als sie vor sieben Jahren nach dem Tod ihrer Mutter zum ersten Mal hierher gekommen war. Wie allein sie sich gefühlt hatte! Doch hier hatte sie zu ihren familiären Wurzeln gefunden. Aus einem Impuls heraus hatte sie damals versucht, etwas über ihre Familiengeschichte in Erfahrung zu bringen. Den wenigen Anhaltspunkten im Nachlass ihrer Mutter war sie mühsam, aber mit Erfolg nachgegangen.
    Es war eine ausgefallene Familie, die sie da zutage gefördert hatte. Aus den vergilbten Seiten eines alten Tagebuchs war eine ganz besondere Geschichte zum Leben erwacht. Lily versuchte immer noch, tiefer in die Vergangenheit dieser Familie vorzudringen, von deren Existenz sie lange Jahre nichts geahnt hatte. Sie hatte einige Zeit benötigt, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie zu einem – wenn auch geringen – Teil eine Aborigine war. Und über die Jahre hatte sie bei ihren Besuchen in langen Gesprächen und bei gemeinsamen Erlebnissen vieles erfahren, wusste jedoch, dass es noch mehr zu entdecken gab. Auch ihre Aborigine-Großfamilie hatte sie allmählich als eine der ihren akzeptiert. Heute brachten sie sich gegenseitig Liebe, Respekt und Freundschaft entgegen. Sie akzeptierten die jeweiligen Schwächen und Stärken des anderen, hatten ihre Höhen und Tiefen – wie jede Familie. Dennoch war da immer noch die beunruhigende Tatsache, dass ihre dreißigjährige Tochter Sami von alledem nichts wissen wollte.
    Nicht zum ersten Mal ging Lily auf, wie leer ihr Leben ohne ihre Familie all die Zeit gewesen war, wie viel ihr als kleines Mädchen und später als Frau entgangen war. Indem ihre Mutter nach ihren eigenen Träumen gestrebt und einen von der Familie unabhängigen Weg eingeschlagen hatte, hatte sie Lily um ganz gewöhnliche, jedoch ungemein wichtige Bausteine des Lebens gebracht: Verwandte und gemeinsame Erfahrungen – die starken Bande, die Menschen zusammenbringen. Einst voller Angst, sie könne dem Beispiel ihrer Mutter folgen und eine geschiedene Frau mit nur einer Tochter werden, besaß Lily nun eine bedeutsame Familiengeschichte, eine Bindung an einen Ort und an traditionsverbundene Menschen, die sie ihre Familie nennen durfte. Je mehr Lily über ihre Vergangenheit erfuhr, desto entschlossener war sie, diese mit der Gegenwart und der Zukunft zu verknüpfen. Bloß wie?
    Das Läuten des Telefons unterbrach ihre Gedanken. Sie wusste, es würde Dale sein.
    »Hallo, Darling. Ich dachte mir, du müsstest mittlerweile da sein. Wie geht’s dir?«
    »Gut,
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