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Die Perlenzüchterin

Die Perlenzüchterin

Titel: Die Perlenzüchterin
Autoren: Di Morrissey
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Wenn wir wieder in Broome sind, bringen wir Sie hin.« Und während Lily zusah, wie die Sonne als Feuerball ins Meer glitt, fragte sie sich, ob Sami Tyndalls Grab bereits aufgesucht hatte. Es war an der Zeit, und Mikas Bitte war der ideale Anlass dafür. Als die Sonnenstrahlen allmählich verblassten, schien es ihr, als wäre ein Kapitel endlich abgeschlossen.
     
    Sami saß im Garten des alten Hauses und blickte auf die Roebuck Bay. Sie dachte an ihre Vorfahren, die so einen großen Einfluss auf ihr heutiges Leben einforderten. Möchte ich wirklich an ihren Gräbern stehen, fragte sie sich. Brauche ich das? Und warum?
    Sie gab sich die Antwort selbst: Weil meine Mutter möchte, dass ich sie und Mika begleite. Warum aber widerstrebte ihr das plötzlich? Zum Gipfel der Klippe zu gehen, den Doppelgrabstein aus Sandstein aufzusuchen, der auf den Gräbern von Olivia und Tyndall stand, war doch nichts so Bedeutsames. Bald würde sie abreisen, und die Geste zählte für ihre Mutter viel.
    Hinter sich hörte sie leise Schritte, und dann stand Rosie neben ihr und sah hinaus auf die Bucht. »Wunderschön, nicht wahr? So friedvoll. Sie haben dieses Haus sehr geliebt. Es ist ein Ort der Erinnerungen, und sie reichen weit zurück. Bis vor Biddys Zeit zu Minnies Leuten.«
    »Du bist die Hüterin der Familiengeschichten, stimmt’s, Rosie?«
    »Im Augenblick ja. Sie sollten aber weitergegeben werden. Deine Mutter kennt jetzt eure Familiengeschichte. Bald wirst auch du sie ganz kennen. Aber den Zeitpunkt musst du selbst wählen, ihr offenen Herzens und ohne Vorurteile begegnen. Wir können uns nicht vor unserer Vergangenheit verstecken, Sami.«
    »Und genau das habe ich versucht … Aber seit ich hier bin, gibt es offenbar kein Entrinnen«, sagte sie lächelnd. »Ich komme zurück, Rosie. Offenen Herzens. Ich weiß, dies ist mein Zuhause.«
    Rosie nickte zufrieden. »Deine Mutter ist so weit.«
    Sami und Lily gingen gemeinsam. In der Ferne erkannten sie Mikas zarte Gestalt. Ihr Haar wehte in der Seeluft. Lily blieb stehen und berührte Sami am Arm. »Bevor wir da sind, möchte ich dir das hier geben.« Sie reichte Sami ein Samtbeutelchen.
    Behutsam zog Sami daraus eine alte, gravierte Perlmuschel hervor, auf der sie die Kreise und geritzten Gravuren von Niahs Grabstein wieder erkannte. »Hat die Niah gehört?«
    »Ja. Ich fand sie mit den Perlen bei den Sachen meiner Mutter, als sie starb. Behalte sie, damit sie dir Glück bringt! Und damit ein Stück der Familie immer bei dir ist, wohin du auch gehst.«
    »Danke, Mami. Vielen Dank.« Die Geste rührte Sami. »Ich weiß, sie ist etwas Besonderes. Und ich verstehe auch ihre spirituelle Bedeutung.«
    »Du hast auf dieser Reise viel gelernt.« Lily hakte sich bei Sami ein.
    »Rosie sagt, es gibt noch viel mehr, was ich verstehen muss. Aber das hat Zeit. Ich komme ja gerade erst damit ins Reine, wer ich bin. Wer wir sind!«
    Lily gab ihrer Tochter einen Kuss. Gemeinsam und ohne weitere Worte gesellten sich die beiden Frauen zu Mika, die bereits an den Gräbern stand.
    Dort standen sie vor dem einfachen Grabstein, jede in ihre eigenen Gedanken und Gebete versunken.
    Kapitän John Tyndall, geboren am 14 . November 1868 , gestorben am 3 . März 1942 . Olivia Hennessy Tyndall, geboren am 18 . März 1872 , gestorben am 15 . Juli 1953 .
    Mika legte eine rote Rose auf den Grabstein und verneigte sich tief.
    »Der Geist von Yoshikuri-san erweist Ihnen Ehre, Kapitän Tyndall.« Sie neigte den Kopf.
    Sie dachte an ihren Urgroßvater Takeo Yoshikuri, Sohn von Yoshikuri-san, der mit Kapitän Tyndall gearbeitet und ihn geliebt hatte. Und daran, dass der ungestüme, mutige Takeo einer der Piloten gewesen war, die bei dem Luftangriff auf Broome am 3 . März 1942 die Zeros geflogen hatten.
    Man kann der Vergangenheit nicht entrinnen, dachte Mika. Aber man kann ihr Ehre erweisen.
    Sami ergriff die Hand ihrer Mutter. Mit einem Male überwältigte sie der Augenblick, dieses Treffen am Grab. Es war ein ganz schlichter Moment, doch er verband so viele Menschen in verschiedener Hinsicht. Sie fühlte sich als Teil eines Kreises, der sich hier schloss. Sami dachte an Leilas Kunst, ihre Knüpfarbeit, und ihr fiel auf, dass das Knüpfen ein Symbol für das Leben selbst war. Die vielen Kett- und Schussfäden ergaben zunächst ein Muster und am Ende einen wunderschönen Teppich. Jetzt erkannte Sami, wie viele Fäden aus ihrer Vergangenheit, wie viele unterschiedliche Geschichten und Erfahrungen miteinander
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