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Die Peperoni-Strategie

Die Peperoni-Strategie

Titel: Die Peperoni-Strategie
Autoren: Jens Weidner
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Ihrem Forschungsansatz nicht ganz einverstanden …«) Er ergänzte dies – ganz Coach – mit der Analyse, ich hätte ein »Nice-Guy-Problem«, was weniger als ästhetisches Kompliment, sondern mehr so zu verstehen war, dass er mich für ausgeprägt konfliktscheu hielt.
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Dieses Persönlichkeitsdefizit wollte er mir nun durch Konfrontationsübungen abtrainieren – und er leistete ganze Arbeit: Ich bekam zehn Tage Zeit, um 150 Konfrontationen an den inhaftierten Gangschlägern durchzuführen, die meine Konfrontationen – strafverschärfend – auch noch gegenzeichnen mussten. Zum Beispiel gab es aus gutem Grund ein Verbot für das Tragen von Ohrringen im Gefängnis. Meine erste Aufgabe war, einen Gangschläger, der sich nicht an diese Norm hielt, vom Gegenteil zu überzeugen. Dabei musste ich die »le
vels of confrontation«, ein Konfrontationsritual, einhalten: Zunächst ging ich zu dem Jungen hin und zeigte ihm non-verbal, dass er den Ohrring herausnehmen möge. Er tat es nicht. Ich bat ihn höflich, den Ohrring zu entfernen. Er tat es nicht. Ich sagte unhöflich: »Nimm den raus!« Er tat es nicht. Ich machte den »touch for attention«, legte also die Hand auf seine Schulter und bat eindringlich, Nase an Nase, der Ohrring-Norm Folge zu leisten. Er tat es noch immer nicht. Ich rief »Support!« (»Unterstützt mich!«), und alle Mitarbeiter und Jugendlichen waren zur sofortigen Unterstützung verpflichtet. Alle standen nun um den Ohrringträger herum, redeten auf ihn ein, laut, leise, liebevoll, aggressiv, ein 10-minütiges Konfrontationsgewitter – und endlich nahm er den Ohrring heraus. Die Konfrontation war beendet – und ich bekam meine Unterschrift (»Mr. Weidner confronted me at 9.14 a.m.«)!
    Ich war von dem Erlebnis total gestresst – und von dem Gedanken, dass nun »nur« noch 149 Konfrontationen vor mir lagen. Nach zehn Tagen hatte ich nicht nur – vor Anstrengung – Hautausschlag im Hals- und Brustbereich, sondern war um zahllose Erfahrungen reicher, wurde von »Ironhead« in höchsten Tönen vor dem gesamten Team gelobt (»Jungs, der Deutsche hat doch Potenzial!«) und hatte die Gewissheit, dass ich mich durchsetzen kann – wenn es gefordert ist.
     
    Eine solche Gewissheit strahlt man aus. Wenn man Ihnen abnimmt, dass Sie in einer Konfrontation bestehen können (wenn |19| Sie es wollen), wird man Ihre Freundlichkeit nicht mit Schwäche verwechseln.
    Neben dem Vertrauen in die eigene Durchsetzungsstärke ist aber auch Augenmaß wichtig – nicht immer ist eine Konfrontation der richtige Weg, zumal die Reizschwelle bei jedem Menschen unterschiedlich ist. Auch hierfür ein etwas schmerzhaftes Beispiel aus meinem Berufsalltag mit Gewalttätern: Mit harten Konfrontationstherapien, bei denen der Gewalttäter auf dem sogenannten »heißen Stuhl« sitzt, soll das brutale Denken von Schlägern verändert werden. Sie sollen Mitleid mit ihren Opfern fühlen. Amerikanische Therapeuten sprechen vom »Hot Seat«, weil die Schläger, von ehemals gewalttätigen Insassen und Therapeuten eingekreist und unter Gruppendruck, im Kreuzfeuer der Kritik schnell ins Schwitzen kommen.
     
    In meiner Anfangszeit in der deutschen Justiz, das war 1987, wurde mir ein gewalttätiger (und erfreulicherweise inhaftierter) Mann zur Behandlung zugewiesen. Er – 22 Jahre alt – war leicht reizbar und litt unter seiner Halbglatze. Wenn man ihn darauf ansprach, lief er nicht nur tiefrot an, sondern wurde richtig wütend. Er galt als unkontrolliert, zumal ihn eine ähnliche Nichtigkeit in einem Lokal hatte gewalttätig ausrasten lassen. Das war der Grund für seine Inhaftierung. Unser Job war es, durch gezielte Provokationen seine Reizschwelle so zu erhöhen, dass er zukünftig nicht mehr die Beherrschung verlieren würde. Auch aus reinem Selbstschutz baten wir ihn, Bescheid zu sagen, falls er es nicht mehr aushielte und kurz vorm Explodieren stünde.
    Bereits nach 3 Minuten rief der Mann: »Schluss!« Ich war verärgert, hatte doch die Vorbereitung auf diese schwierige Sitzung über eine Stunde gedauert – und nun nach kürzester Zeit ein »Time out«! Ich nahm das Signal daher vor lauter Ärger nicht ernst. Mein Gefühl sagte: »Der blufft nur, um sich vor der Behandlung zu drücken.«
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Deshalb ging ich auf ihn zu, streichelte ihm über seine mittlerweile leicht verschwitzte Halbglatze und sagte: »Junge, du hast doch wohl noch mehr zu bieten!« – »Ja!«, sagte er, stand auf und schlug mir kräftig mit der
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