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Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Titel: Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit
Autoren: Patrick Bauer
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war.
    »Warum spielst du bei den Kanaken?«
    »Du stinkst ja auch schon nach Knoblauch!«
    »Schaut mal, ein blonder Türke!«
    Dann kamen sofort meine Mitspieler angerannt: »Lasst unseren Deutschen in Ruhe, ihr Kartoffeln!« Und wenn der große Fatih mir nicht eine Lektion erteilt hätte, ich hätte die Marzahner und Hellersdorfer sicher übel beschimpft. Sie hätten es ohnehin nicht verstanden. Sie verstanden auch unsere Kommandos und Absprachen auf dem Platz nicht, und deshalb gewannen wir meist. Wenn wir die Kartoffeln im Schatten der Plattenbauten besiegt hatten, spendierte Trainer Ali zurück in der Zivilisation in Kreuzberg jedem von uns einen Döner. Mit doppelt Knoblauchsoße.
    Schweinefleisch esse ich bis heute nicht sehr gern. Mir leuchtete sofort ein, was mir Ahmed in der ersten Klasse erklärt hatte: Schweine leben in ihrem eigenen Dreck, deshalb ist ihr Fleisch dreckig. »Es ist nicht nur dreckig, noch schlimmer: Das Fleisch ist unrein«, korrigierte Ahmed mich, als ich die anderen Salamibrötchen essenden Kinder über die Herkunft ihres Brotbelags informierte.
    Mein Heimatbezirk war geprägt von türkischen Traditionen, von arabischen Eigenheiten und von muslimischen Bräuchen. Ich mochte diese vertraute Fremde, die mich umgab. Den türkischen Markt vor unserer Haustür. Den Gebetsraum im Gewerbehof nebenan, vor dessen Tür immer so viele Schuhe standen. Eine sehr ordentliche Religion ist das, die den Gläubigen vorschreibt, dass man in ihrem Haus die Straßenschuhe ausziehen muss, dachte ich, ganz wie bei uns zuhause. Ich mochte das Zuckerfest. Wie großartig, dachte ich: Eine Feier zu Ehren von Süßigkeiten und die Kinder müssen nicht zur Schule. Meine Eltern sagten mir jedoch, ich dürfe an diesem Tag nur zuhause bleiben, wenn ich vorher wie die muslimischen Kinder dreißig Tage fasten würde. Ich mochte den Geschmack von frischem Ayran und den Supermarkt mit der endlosen Oliven-Theke. Ich mochte die Autokolonnen der Hochzeitsgesellschaften. Und die Holzkettchen, mit denen die alten türkischen Männer in der U-Bahn herumspielten. Als ich viele Jahre später zum ersten Mal nach Istanbul reiste, als erwachsener Mann, verstand ich zwar auf der Straße kein Wort, denn die Leute beschimpften sich weder aufs Übelste noch gaben sie sich Fußball-Kommandos, aber: Ich fühlte mich gleich zuhause. Die Melodie der Stimmen kam mir bekannt vor. Auch die Gerüche. Das hektische Hupen.
    Bevor jedoch der Eindruck entsteht, ich sei in »Klein-Istanbul«, wie Kreuzberg in großen Tageszeitung aus kleinen Städten gerne genannt wird, aufgewachsen wie ein türkischer Junge: Meine Kindheit war zu einem viel wesentlicheren Teil geprägt von Fahrradklingeln, von linksalternativen Wohnprojekten, von Bioläden und Anti-Kriegs-Demonstrationen. Ahmed musste sich bei mir zuhause genauso anpassen wie ich bei ihm. Mein Vater erzählte von seiner Tramper-Reise durch die Türkei, von den Bergen und den Wasserpfeifen dort. Und Ahmed sagte danach: »Cooler Typ!« Mein Vater stellte sich in die Küche und kochte am liebsten abenteuerliche Tofu-Gerichte. »Er kocht?«, fragte Ahmed, »krasser Typ!« Den Tofu kommentierte er nicht weiter. Allein aus Höflichkeit gegenüber meiner Mutter, die rechtzeitig zum Abendessen von der Arbeit kam. Als Ahmeds lustiger Vater einmal von der Arbeit kam, als ich bei den Etürklüs zu Besuch war, in dieser Wohnung, in der man denken konnte, man laufe über Moos, wenn man die Augen schloss, weil überall sehr dicker, flauschiger Teppichboden auslag, hörte er, dass wir die Puppe der kleinen Schwester aus dem Fenster geschmissen hatten, und sagte zu uns: »Wenn das noch einmal passiert, schmeiße ich euch auch aus dem Fenster!« »Krasser Typ«, sagte ich zu Ahmed, aber der sagte nur: »Wir machen das mit der Puppe lieber nicht noch mal!« Das war mir ziemlich egal, Hauptsache, es gab bei Ahmed zu Hause das Fleisch, das bei meinen Vegetarier-Eltern nicht auf den Teller kam. Ahmeds Mutter, deren Vornamen ich nie erfuhr, stand in der Küche, ließ es stundenlang kochen und braten, machte nie Kartoffeln dazu und sang Lieder, die ich zwar nicht mitsingen konnte, die aber bis zum Einschlafen in meinem Kopf blieben. Ahmeds Mutter ging nach dem Mittagessen putzen. Der Vater arbeitete in einer Schlosserei.
    »Wie haben sich deine Eltern kennen gelernt?«, fragte ich Ahmed mal, aber das war einer dieser Momente, in dem wir wohl beide merkten, dass die Fragen, die wir uns stellten, nicht dieselben waren.
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