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Die Novizin

Die Novizin

Titel: Die Novizin
Autoren: Colin Falconer
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damit er nicht sah, wie mir das Blut in die Wangen schoss. Doch der Elende folgte mir wie ein Bettler. Ich vermochte nicht schnell genug fortzueilen, da überall vor meinen Füßen Steinquader lagen.
    »Sie ist zwar nur ein Mädchen, aber ich liebe sie mit ganzer Seele, Vater.«
    »Eure Seele gehört Gott allein!«, wies ich ihn zurecht.
    »Vater, Ihr wisst, dass sie mein einziges Kind ist. Es war nicht Gottes Wille, mich mit weiteren Kindern zu segnen. Ich habe auf einen Enkelsohn gehofft, an den ich eines Tages meine bescheidene Handwerkskunst weitergeben kann … wenn Ihr doch nur mit ihr reden würdet, Vater!«
    »Es gibt keinen besseren Lebenssinn, als Gott zu dienen.«
    »Aber sie ist nur ein Mädchen und hat gute Heiratsaussichten, Vater …«
    Ich fuhr herum, in der Absicht, ihn für sein aufdringliches Benehmen zu rügen. Gern würde ich behaupten, dass es der Anblick dieses händeringenden Goliath war, der mein Herz milde stimmte. Doch das entspräche nicht der Wahrheit.
    Wenn dieser arme Mensch doch nur gewusst hätte, wie es in meinem Herzen aussah! Die Mittel und Wege des Bösen sind wahrlich heimtückisch. Offenbar sollte das Objekt meiner niedrigsten Begierden ausgerechnet mir zum Zwecke der Belehrung anvertraut werden – mit dem Segen des Vaters.
    Statt bei meiner Weigerung zu bleiben, gab ich schließlich nach. Zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass ich dies als Gelegenheit betrachtete, die Macht des Teufels zu überwinden und ihn so zu bezwingen, genau wie er von unserem Herrn in der Wüste bezwungen wurde. Es war eine Prüfung, bei der ich meiner Schwäche ins Auge sehen und sie besiegen musste.
    Ein anderer, zynischerer Mann hätte es wahrscheinlich als hervorragende Gelegenheit dafür bezeichnet, der Versuchung zu erliegen.
    »Bitte sprecht mit ihr, Vater! Sie ist doch nur eine Frau. Wenn ich einen Sohn hätte, würde ich ihn Gott zum Geschenk machen, denn dieses Geschenk hätte einen Wert. Aber eine Tochter … Werdet Ihr sie dazu bringen, diesen Wunsch aufzugeben?«
    »Ich werde sehen, was ich tun kann«, entgegnete ich und beließ es dabei. Aber ich wusste genau, was ich tun würde. Ich wusste es nur zu gut.
     
    *
     
    Einige Geistliche aus meiner Bekanntschaft weigern sich, auch nur das Wort an eine Frau zu richten. Sie verachten alle Mitglieder des weiblichen Geschlechts für die Sünden Evas – so behaupten sie zumindest. Aber ich glaube eher, dass sie Angst vor Frauen haben und sich selbst nicht über den Weg trauen. Sie fürchten die Reize, mit denen der Teufel die Frauen ausgestattet hat und die einen Mann davon abhalten, ein tugendhaftes Leben zu führen.
    Ich selbst gehörte nie zu jenen Geistlichen. Ich habe schon oft mit Frauen gesprochen – selbstverständlich nur in der Öffentlichkeit. Ansonsten achte ich darauf, niemals mit einer Frau allein zu sein. Ihr wisst vermutlich, dass es in unserer Kirche ein großes Ausmaß an Lüsternheit gibt. So mancher Kleriker kennt sich mit der Unzucht besser aus als mit den Worten der heiligen Messe. Und einige Mönche scheinen lieber einen anrüchigen als gar keinen Ruf zu pflegen.
    Solche Männer wird man allerdings nicht im Predigerorden finden. Ihr werdet Euch also mit Recht fragen, warum ich beschloss, mich mit diesem Mädchen nicht an einem öffentlichen Ort wie zum Beispiel im Kreuzgang von Saint Sernin zu treffen.
    Stattdessen suchte ich einige Tage später den Steinmetz auf. Er stand gerade auf seiner Leiter, mit einer dicken Schicht von Steinstaub auf Gesicht, Haaren und Schürze. Der schwere Hammer wirkte in seiner riesigen Faust wie eine Kinderrassel. »Ich bin bereit, mit Eurer Tochter zu reden«, verkündete ich ihm.
    Er wirkte erleichtert, als hätte ich ihm eine große Last von den Schultern genommen. »Danke, Vater.«
    »Wo kann ich unter vier Augen mit ihr sprechen?«
    Das hatte er natürlich noch nicht bedacht.
    »Ich werde sie an einen Ort Eurer Wahl bringen, Vater.«
    Ich setzte eine ungeduldige Miene auf, als sei es mir lästig, mich um derartige Einzelheiten kümmern zu müssen. »Ich werde morgen zur neunten Stunde in Euer Haus kommen«, erklärte ich. Der folgende Tag war ein Sonntag, daher würden sowohl Anselm als auch seine Frau zu Hause sein.
    »Ich danke Euch, Vater. Vielen Dank.«
    Ich tat seine Dankesbezeugungen mit einer wegwerfenden Geste ab und ging von dannen. Meine Wangen brannten. Ich bat Gott darum, mir Stärke zu verleihen, damit ich meinen Kampf gewann. Doch hoffte ich nicht gleichzeitig voller
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