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Die Neunte Gewalt

Titel: Die Neunte Gewalt
Autoren: Jon Land
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Sonnenschein verbringen konnte. Seine Entführer hatten versucht, ihn dazu zu bringen, mit einem Fußball zu spielen, doch er hatte sich geweigert und war ihnen verdrossen ausgewichen.
    Der Junge hatte noch seine Schuluniform getragen; das weiße Hemd war schmutzig, und ein Bein seiner grauen Flanellhose war am Knie aufgerissen. Hedda hatte das Fernglas an die Augen gehoben und auf den Jungen gerichtet, während er im einst gepflegten Innenhof der heiligen Residenz allein auf einer Bank saß. Auf beiden Wangen hatte sie die Spuren von Tränen gesehen. Seine Oberlippe war geschwollen und verschorft, und sein langes Haar strähnig und ungekämmt.
    Hedda zog einen Schnappschuß von dem Jungen aus der Tasche. Das Foto war zerknittert und ein wenig unscharf. Es zeigte den Jungen, wie er lächelnd dastand, in derselben Schuluniform.
    Christopher Hanley, zwölf Jahre alt …
    Hedda dachte wieder darüber nach, was sie in den beiden letzten Tagen auf dem Innenhof beobachtet hatte. Die beiden Terroristen hatten versucht, den Jungen zum Fußballspielen zu verleiten. Sie hatten ihm den Ball zugetreten, doch der Junge hatte ihn nicht beachtet. Diese Szene würde sich wiederholen, und darauf basierte ihr Plan.
    Hedda holte einen Gegenstand aus ihrem Rucksack, der wie ein Transistorradio aussah, und machte sich daran, ihn am Maschinengewehr anzubringen.
    Fünfzehn Minuten später hatte sie sich zwischen den Überresten dreier ausgebrannter Wagen auf einer Nebenstraße am Rand des Geländes verborgen. Sie blickte wieder auf die Uhr.
    16 Uhr 20.
    Dem gewohnten Ablauf zufolge würde der Junge innerhalb der nächsten zwanzig Minuten mit seinen Häschern auf dem Hof erscheinen. Es wurde also langsam Zeit.
    Lediglich zwei Wachen patrouillierten außerhalb der zwei Meter hohen Steinmauer; auf dem Innenhof waren jedoch weitere postiert. Alle trugen die üblichen Khaki-Uniformen der PLO und die bauschigen arabischen Kopfbedeckungen, die bis auf die Schultern fielen. Hedda hatte die Männer eingehend beobachtet und festgestellt, daß sie des öfteren gähnten und sich nicht besonders für ihre Aufgaben interessierten. Es war kein Problem, einen von ihnen zu eliminieren, um sich Zutritt zu verschaffen. Es kam nur auf das richtige Timing an.
    Hedda zog ihre Kopfbedeckung tief in die Stirn und bereitete sich vor. Der Rucksack, den sie mitgebracht hatte, enthielt eine Uniform, die jener der palästinensischen Wachen entsprach. Mit einem Meter und fünfundsiebzig war sie recht hochgewachsen für eine Frau, so daß ein Größenunterschied den Plan, den sie durchführen wollte, nicht gefährden konnte.
    16 Uhr 30.
    Die heilige Residenz bildete praktisch eine Oase inmitten einer Wüste der Verheerung. Dieser Teil Beiruts war so gut wie verlassen, abgesehen von ein paar Obdachlosen und Bettlern, die hierher kamen, um vor aufflackernden Gefechten zu fliehen. Als Hedda die Residenz aus dem Wohnhaus beobachtete, hatte sie sich entschieden, auf der rechten Flanke des Geländes zuzuschlagen. Der Posten, der zwischen ihr und dem Eingang stand, trug einen Bart, und so hatte ihre letzte Handlung vor dem Verlassen des Wohnhauses darin bestanden, sich einen falschen Bart anzukleben.
    Hedda glitt so nahe wie möglich an den Mann heran und kauerte sich hinter einigen alten Mülltonnen nieder, um die herum es von Fliegen und Maden wimmelte. Ein weiterer Palästinenser stand auf einem kreisrunden Ausguck, der sich über die Kuppel der heiligen Residenz erhob, und beobachtete die Straße. Doch wenn er nach Westen blickte, in Heddas Richtung, mußte er in die Sonne sehen. Genau aus diesem Grund hatte Hedda sich für die rechte Flanke entschieden.
    Der Posten schritt an ihr vorbei. Hedda sprang.
    Mit einem einzigen Atemzug hatte sie die Breite der Straße überwunden. Sie kam auf den Zehenspitzen auf, um jedes Geräusch zu vermeiden, und hielt das Messer bereits in der Hand. Hedda schlang einen Arm um die Kehle des Wachtpostens und stieß ihm von hinten die Klinge ins Herz. Sein Körper zuckte, und er trat um sich, während er zu einem Schrei ansetzte, den sie jedoch mit der Hand erstickte. Er zuckte noch immer, als sie ihn über die Straße zerrte, um ihn hinter dem Abfall zu verbergen.
    Nachdem Hedda dem toten Palästinenser die Maschinenpistole abgenommen und sich vergewissert hatte, daß sein Leichnam nicht entdeckt werden konnte, nahm sie den Fußball, den sie zwischen zwei fliegenumschwärmte Mülltonnen gedrückt hatte. Bis auf eine kaum wahrnehmbare
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