Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Neunte Gewalt

Titel: Die Neunte Gewalt
Autoren: Jon Land
Vom Netzwerk:
Abständen von einer Sekunde erklang ein nervenzerfetzendes Jaulen. Auf Vogelhuts Gesicht schimmerte das rote Licht der Warnlampen, die nun auf dem Kontrollpanel aufleuchteten. Im MAX-SEC-Trakt schwangen nacheinander die drei Türen auf, und die Wachmänner spurteten in dem Augenblick, in dem sich die erste Tür weit genug geöffnet hatte, zur zweiten weiter. Sie rückten zusammen, bezogen Stellung und liefen dann wieder los, bis sie endlich die erste der vier Etagen betreten hatten.
    »Wir sind drin, Sir«, hörte Vogelhut durch das Walkie-talkie. »Wir verteilen uns jetzt. Keine ungewöhnlichen Vorkommnisse.«
    »Auf Ihr Zeichen, Captain.«
    »Position eingenommen … Jetzt, Sir!«
    Vogelhut blickte wieder zum Techniker hinüber. »Öffnen Sie die Zellentüren der ersten Etage.«
    Der Mann drückte mit zitternden Fingern den entsprechenden Knopf.
    »Ihre Meldung, Captain!«
    »Gott im Himmel …«
    »Captain, was ist los?«
    Stille. Vogelhut hörte Bewegungen und Gemurmel durch sein Walkie-talkie, aber keine verständlichen Worte.
    »Captain, ich habe Ihre letzte Meldung nicht verstanden!«
    Noch mehr Lärm. Schritte und Rufe, aber noch immer keine Meldung.
    »Captain, was geht da vor?«
    »Sie sind weg.«
    » Was?« Vogelhut wußte, daß er den Mann falsch verstanden haben mußte. Er mußte sich einfach verhört haben!
    »Die Gefangenen sind verschwunden!« bestätigte der Captain der Wachmannschaft. »Jede einzelne verdammte Zelle ist leer …!«

2
    Jared Kimberlain lehnte die Ellbogen auf den Tisch und beugte sich näher zu der ihm gegenüber sitzenden Frau hinüber. Als er sprach, klang seine Stimme weich und leise.
    »Wissen Ihre Vorgesetzten, daß Sie zu mir gekommen sind?«
    »Inoffiziell«, erwiderte Lauren Talley. »Es war nicht leicht, sie zu überzeugen.«
    »Es wird Ihnen noch schwerer fallen, mich zu überzeugen, Miss Talley.«
    Lauren Talley schob die Tasse mit dem kalt gewordenen Kaffee zur Seite und stützte ebenfalls die Ellbogen auf den Tisch. Ein Lear-Jet des FBI hatte sie nach Vermont gebracht, und sie konnte nur hoffen, daß sie irgend etwas ins Spesenformular eintragen konnte, wenn sie erst wieder nach Quantico zurückgekehrt war. Die Abteilung für Verhaltensforschung – jenes Ressort des FBI, in dessen Zuständigkeit Serienmörder fielen – befand sich auf dem dortigen Gelände der FBI-Akademie. Lauren Talley war Special Agent; sie war nach einem ziemlich spektakulären Aufstieg auf der Karriereleiter nun die Nummer drei in der Rangfolge der Abteilung, was sie mit Stolz erfüllte. Doch heute beschäftigten sie andere Dinge.
    Kimberlain hatte diese Imbißstube für das Treffen ausgewählt. Obwohl die Talley nach zweistündiger Fahrt vom Flughafen zwanzig Minuten vor der Zeit eingetroffen war, hatte er bereits an diesem Ecktisch auf sie gewartet. Ihr Blick fiel auf ihn, kaum daß sie durch die Tür getreten war. Das Foto in Jared Kimberlains Akte schmeichelte ihm nicht gerade, genausowenig wie die verschwommenen Beschreibungen, die Talley von denjenigen Mitarbeitern des FBI bekommen hatte, deren Wege sich schon einmal mit denen Kimberlains gekreuzt hatten. Selbst unter den Truckern und Bauarbeitern, die die Imbißstube bevölkerten und die sich zumeist die Ärmel hochgekrempelt hatten, um ihre Muskeln zur Schau zu stellen, fiel Kimberlain auf. Seine kristallblauen Augen schlugen Talley in einen geradezu hypnotischen Bann und lockten sie in seine Ecke. Er erhob sich zur Begrüßung und gab ihr die Hand; seine Berührung war wie Eis und ihr Händedruck im Vergleich zu seinem schwach. Sie fühlte sich augenblicklich unbehaglich, wie ausgetrocknet, als habe er ihr blitzschnell alle Kraft gestohlen.
    »Wieviel wissen Sie?« fragte sie ihn nun, wandte den Blick von den stechenden Augen ab und schaute auf die Tischplatte. Diese Augen sprachen dem vollen, fast weichen Ausdruck von Kimberlains Gesicht Lügen. Sein Haar war dunkelbraun und gewellt und gerade so lang, daß es ihm auf die Ohren fiel. Es überraschte Talley, daß er es nicht kürzer trug.
    »Ich weiß, daß es keinen Mann in diesem Schuppen gibt, der Sie nicht angestarrt hat, seit Sie hereingekommen sind. Ich weiß, daß Sie einer ganzen Horde von Truckern den Morgen verschönert haben. Sie hätten mich warnen sollen.«
    Eine Kellnerin kam, und die beiden lehnten sich zurück. Die Frau stellte Talley das Frühstück auf den Tisch: Rührei und drei Scheiben Speck, Toast wurde in einem Schälchen gereicht. Die Kellnerin schenkte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher