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Die Nebel von Avalon

Titel: Die Nebel von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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beobachtete sie, daß das Kind sich auf Vivianes Schoß wohl fühlte. Viviane wirkte beinahe zu klein, um Morgaine sicher zu halten. Ja, sie war tatsächlich eine feenhafte Frau – eine Frau aus dem Alten Volk. Und Morgaine würde ihr vielleicht wirklich einmal sehr ähnlich werden.
    »Und wie hat sich Morgause entwickelt, seit ich sie dir vor einem Jahr geschickt habe?« fragte Viviane und blickte zu Morgause, die in ihrem safranfarbenen Gewand verstimmt im Schatten des Feuers stand. »Komm her und gib mir einen Kuß, kleine Schwester. Ah, ich sehe, du wirst so groß werden wie Igraine.« Sie streckte dem Mädchen die Arme entgegen, das sich widerwillig und störrisch wie ein ungezogenes Hündchen aus den Schatten löste. »Ja, lehn dich hier an mein Knie, mein Kind.« Morgause setzte sich auf den Boden und legte den Kopf an Vivianes Beine. Igraine sah, wie die trotzigen Augen sich mit Tränen füllten.
    Sie hat uns alle in der Hand. Wie kann sie nur solche Macht über uns haben? Oder liegt es daran, daß Morgause nie eine andere Mutter kannte? Viviane war eine erwachsene Frau, als Morgause geboren wurde. Für uns war sie immer Mutter und Schwester.
    Ihre Mutter war schon zu alt gewesen und bei Morgauses Geburt gestorben. Viviane hatte im selben Jahr bereits ein Kind geboren. Aber es blieb nicht am Leben, und Viviane hatte Morgause zu sich genommen.
    Morgaine hatte sich in Vivianes Schoß gekuschelt; Morgause lehnte den Kopf mit den rötlichen, seidig schimmernden Haaren gegen Vivianes Knie. Die Priesterin hielt mit einer Hand das kleine Kind, mit der anderen strich sie sanft über die langen, seidigen Locken des halberwachsenen Mädchens.
    »Gern wäre ich bei Morgaines Geburt zu dir gekommen«, sagte Viviane, »aber ich war selbst schwanger. Ich schenkte in diesem Jahr einem Sohn das Leben. Ich habe ihn weggegeben, und ich glaube, seine Pflegemutter wird ihn zu den Mönchen schicken. Sie ist Christin.«
    »Und du hast nichts dagegen, daß er als Christ aufwächst?« fragte Morgause. »Ist er hübsch? Wie heißt er?«
    Viviane lachte. »Ich nannte ihn Balan«, erwiderte sie, »und seine Ziehmutter nannte ihren Sohn Balin. Sie sind im Abstand von nur zehn Tagen geboren und werden zweifellos als Zwillinge aufwachsen. Nein, ich habe nichts dagegen, daß er christlich erzogen wird. Sein Vater war auch ein Christ, und Priscilla ist eine gute Frau. Du hast gesagt, die Reise hierher sei lang. Aber glaube mir, mein Kind, sie ist heute noch länger als damals, bei deiner Hochzeit mit Gorlois. Von der Insel der Priester, wo ihr Heiliger Dornbusch wächst, vielleicht nicht, aber von Avalon ist sie länger, sehr viel länger…«
    »Und deshalb sind wir gekommen«, sagte der Merlin plötzlich, und seine Stimme tönte wie eine große Glocke. Morgaine fuhr erschrocken auf und begann zu weinen.
    »Ich verstehe das nicht«, entgegnete Igraine, und ihr war plötzlich unbehaglich. »Die beiden Inseln liegen doch so nahe beieinander…«
    »Die zwei sind
eins«,
sprach der Merlin und richtete sich auf, »aber die Anhänger Christi haben sich nicht dafür entschieden zu sagen, daß
sie
keine anderen Götter neben ihrem Gott haben, sondern daß es außer ihrem Gott keinen anderen Gott
gibt.
Sie verkünden, er allein habe die Erde erschaffen und er allein herrsche über sie. Sie behaupten auch, die Sterne, die Menschen, die Tiere und die Pflanzen seien allein sein Werk.« Igraine schlug schnell das heilige Zeichen bei dieser Gotteslästerung.
    »Aber das kann doch nicht sein«, wandte sie ein. »Kein Gott kann allein über alle Dinge herrschen… und die Göttin, die Mutter. ..?«
    »Sie glauben«, sagte Viviane mit ihrer dunklen, sanften Stimme, »daß es keine Göttin gibt. Denn das Wesen der Frau, so behaupten sie, sei das Wesen alles Bösen. Durch die Frau, so sagen sie, kam das Böse in die Welt, und sie beweisen das mit der unwahrscheinlichen Geschichte von einem Apfel und einer Schlange.«
    »Die Göttin möge sie bestrafen«, sagte Igraine zutiefst erschüttert, »und doch hast du mich mit einem Christen verheiratet.«
    »Wir wußten nicht, daß ihre Verleugnungen so allumfassend sind«, sagte der Merlin, »denn in unserer Zeit gab es Anhänger anderer Götter, und sie achteten die Götter anderer.«
    »Was hat das aber alles mit dem weiten Weg von Avalon zu tun?« fragte Igraine.
    »Damit kommen wir zum Grund unseres Besuches«, antwortete ihr der Merlin, »denn wie die Druiden wissen, formt der Glaube der Menschen ihre Welt
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