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Die Nebel von Avalon

Titel: Die Nebel von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Reden bringen, und sie wird mir haargenau sagen, was sie Ettarr ins Bier gemengt hat.
    Igraine schritt in dem schönen langen Kleid langsam und würdevoll die steinernen Stufen hinab in die Küche. Dort erwartete sie Morgause in ihrem besten Gewand, und auch Morgaine trug ein safrangelbes Festtagskleidchen. Sie wirkte darin so dunkelhäutig wie ein piktisches Kind. Igraine nahm sie hoch und hielt sie voll Freude auf dem Arm. Sie war so klein, dunkel, zart und feingliedrig; es schien, als hielte man einen kleinen, weichen Vogel. Woher hatte dieses Kind sein Aussehen? Sie und Morgause waren groß und rothaarig mit der hellbraunen Haut aller Frauen der Stämme. Gorlois war zwar dunkel, aber er war Römer: groß, hager und mit einer Adlernase. Die jahrelangen Kämpfe gegen die Sachsen hatten ihn hart gemacht, und er war so von einer römischen Würde durchdrungen, daß er seiner jungen Frau kaum Zärtlichkeit entgegenbrachte und die Tochter nur mit Gleichgültigkeit behandelte, die sie ihm anstelle des erhofften Sohnes geschenkt hatte.
    Und wieder rief sich Igraine ins Gedächtnis, daß die Römer es als ihr gottgegebenes Recht betrachteten, über Leben und Tod ihrer Kinder zu bestimmen. Viele Männer, Christen oder nicht, hätten gefordert, eine Tochter nicht aufzuziehen, nur damit ihre Frau, ohne Zeit zu verlieren, ihnen einen Sohn schenken konnte. Gorlois war gut zu ihr gewesen; er hatte ihr die Tochter gelassen. Obwohl sie ihm nicht viel Einfühlungsvermögen zutraute, wußte er vielleicht doch, was für sie, eine Frau der Stämme, eine Tochter bedeutete. Igraine gab Anweisung, alles für den Empfang der Gäste vorzubereiten. Man holte Wein aus den Kellern, Fleisch wurde gebraten – kein Kaninchen, sondern gutes Hammelfleisch vom letzten Schlachttag –, und schon hörte sie das aufgescheuchte Gackern und Flattern der Hühner im Hof. Da wußte sie, daß die Reiter angekommen waren. Die Mägde sahen sich ängstlich an, aber die meisten hatten sich daran gewöhnt, daß ihre Herrin die Sehergabe besaß. Igraine hatte ihnen das durch geschicktes Erraten ihrer Gedanken und ein paar Listen weisgemacht und sich so den nötigen Respekt verschafft. Aber jetzt dachte sie:
Viviane hat vielleicht doch recht. Mag sein, daß ich die Gabe immer noch besitze. Vielleicht habe ich nur geglaubt, ich hätte sie verloren – denn in den Monaten vor Morgaines Geburt fühlte ich mich so schwach und kraftlos. Jetzt aber habe ich mich wieder gefaßt, und meine Mutter war bis zum Tod eine große Priesterin und Mutter mehrerer Kinder.
    Dann dachte sie mit Bitternis daran, daß ihre Mutter die Kinder in Freiheit geboren hatte, wie es eine Frau der Stämme tun sollte. Sie hatte die Väter der Kinder selbst gewählt und war nicht Sklavin eines Römers gewesen, dessen Sitten ihm Macht über Frau und Kinder gaben… Ungeduldig verscheuchte sie diese Gedanken. Was bedeutete es schon, ob sie das Gesicht besaß oder nur zu besitzen schien, solange der Glaube daran ihre Dienstboten in Zucht und Ordnung hielt?
    Igraine ging langsam in den Burghof hinaus. Gorlois nannte ihn noch immer gern das Atrium, obwohl hier nichts der Villa glich, die er bewohnte, bevor Ambrosius ihn zum Herzog von Cornwall gemacht hatte. Die Reiter stiegen bereits ab, und Igraines Blick heftete sich sofort auf die einzige Frau, die kleiner war als sie und nicht mehr jung. Sie trug die Tunika und die wollene Hose eines Mannes und war in Mäntel und breite Schals gehüllt. Über den Hof hinweg tauschten beide Frauen grüßende Blicke; pflichtschuldig näherte sich Igraine dem großen, schlanken alten Mann, der von einem knochigen Maultier stieg, und verbeugte sich vor ihm. Er trug das blaue Gewand des Barden, und eine Harfe hing ihm über die Schulter.
    »Ich heiße Euch in Tintagel willkommen, Ehrwürdiger Meister. Ihr segnet unser Haus und erweist ihm durch Euer Kommen große Ehre.«
    »Ich danke dir, Igraine«, antwortete er mit wohlklingender Stimme, und Taliesin, der Merlin von Britannien, Druide und Barde, faltete die Hände vor seinem Gesicht und hob sie dann segnend über die Frau.
    Fürs erste hatte Igraine ihrer Pflicht Genüge getan und eilte zu ihrer Halbschwester. Sie hätte sich auch vor ihr verbeugt, um ihren Segen zu empfangen, aber Viviane hinderte sie daran. »Nein, nein, mein Kind, es ist nur ein familiärer Besuch. Wenn du unbedingt willst, kannst du mir später noch genug Ehre erweisen…« Sie zog Igraine an sich und küßte sie auf den Mund.
    »Und das ist
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