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Die Nebel von Avalon

Titel: Die Nebel von Avalon
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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man sich mühelos vorstellen.
    Vielleicht war Vater Columba ein Christuspriester geworden, weil keine Druidenschule einen so dummen Mann in ihre Reihen aufgenommen hätte. Dem Gott der Christen schien es gleichgültig zu sein, ob ein Priester klug oder dumm war, solange er die Messe herbeten und ein bißchen lesen und schreiben konnte. Igraine war gelehrter als Vater Columba und sprach auch besser Latein als er, wenn sie wollte. Aber Igraine hielt sich keineswegs für gebildet. Sie hatte nicht die Ausdauer besessen, in die tiefere Weisheit der Alten Religion einzudringen oder weiter in die Mysterien vorzustoßen, als es für eine Tochter der Heiligen Insel unbedingt notwendig war. Trotzdem, obwohl sie in jedem Tempel der Mysterien als unwissend gegolten hätte, war sie unter den romanisierten Barbaren eine gebildete edle Dame.
    In dem kleinen Raum neben dem Hof, in den an schönen Tagen das Sonnenlicht fiel, saß ihre jüngere Schwester Morgause, eine dreizehnjährige, aufblühende Jungfrau. Sie trug ein weites Hausgewand aus ungefärbter Wolle, und über ihren Schultern lag ihr alter, abgetragener Umhang. Morgause drehte lustlos die Spindel und wickelte ihren ungleichmäßigen Faden auf eine schwankende Spule; Morgaine saß auf dem Boden beim Feuer und spielte mit einer alten Spindel. Sie beobachtete das ziellose Rollen der ungleichen Walze, die sie mit rundlichen kleinen Fingern hierhin und dorthin schob. »Habe ich lange genug gesponnen? Mir tun die Finger weh! Warum muß ich den ganzen Tag spinnen und spinnen wie eine Dienstmagd?« fragte Morgause klagend.
    »Jede Edelfrau muß spinnen lernen«, antwortete Igraine tadelnd, weil sie wußte, daß man es von ihr erwartete, »und dein Faden ist eine Schande, hier dick und da dünn… Deine Finger werden geschickter, wenn du sie an die Arbeit gewöhnst. Schmerzende Finger sind ein Zeichen von Trägheit; du hast sie nicht richtig abgehärtet.« Sie nahm Morgause Spindel und Spule aus der Hand und bewegte sie mühelos. Unter ihren geübten Fingern verwandelte sich der ungleiche Faden in ein vollkommenes Garn von gleichmäßiger Dicke. »Sieh her, dieses Garn kann man weben, ohne daß das Schiffchen hängenbleibt…«, und plötzlich ihres pflichtbewußten Verhaltens überdrüssig, fügte sie hinzu, »aber du kannst die Spindel jetzt weglegen. Noch vor dem Abend werden Gäste hier sein.«
    Morgause sah sie verwundert an. »Ich habe nichts gehört«, sagte sie, »es war auch kein Bote da.«
    »Das überrascht mich nicht«, antwortete Igraine, »dazu braucht es keinen Boten, es ist eine Vorahnung. Viviane ist auf dem Weg hierher, und der Merlin begleitet sie.« Ehe sie das sagte, hatte Igraine es selbst nicht gewußt. »Bringe Morgaine jetzt zu ihrer Amme und ziehe dein safranfarbenes Festgewand an.«
    Morgause räumte geschwind die Spindel beiseite, blieb aber dann stehen und fragte verwundert: »Das safranfarbene Kleid? Für meine
Schwester?«
    Igraine wies sie scharf zurecht: »Nicht für unsere Schwester, Morgause, ondern für die Herrin der Heiligen Insel und für den Boten der Götter.«
    Morgause blickte auf das Muster des Fußbodens. Sie war ein großes, kräftiges Mädchen, das sich gerade zu strecken begann und zur Frau erblühte. Ihr dichtes Haar glänzte rötlich wie das Igraines, und auf ihrer Haut blühten Sommersprossen, gleichgültig wie sorgfältig sie ihr Gesicht mit Buttermilch wusch und die Kräuterfrau bat, ihr Salben und Pflanzensäfte zu geben. Sie war mit dreizehn bereits so groß wie Igraine, und sie würde noch wachsen. Mißmutig nahm sie Morgaine auf den Arm und ging mit ihr davon. Igraine rief ihr nach: »Sage Isotta, sie soll dem Kind das hübscheste Kleid anziehen und sie dann herunterbringen. Viviane hat sie noch nicht gesehen.«
    Morgause murmelte schlechtgelaunt: »Ich kann nicht verstehen, warum eine große Priesterin um alles in der Welt eine Göre sehen will.« Aber sie sprach so leise, daß Igraine nicht darauf reagieren mußte.
    Sie ging die schmale Treppe hinauf in ihre eigene kalte Kammer. Nur mitten im Winter brannte hier ein Feuer. Wenn Gorlois abwesend war, teilte sie das Bett mit ihrer Dienerin Gwennis, und seine lange Abwesenheit bot ihr eine gute Entschuldigung, auch Morgaine abends ins Bett zu nehmen. Manchmal kam auch Morgause zu ihnen, um in der
    bitteren Kälte unter die Pelzdecken zu kriechen. Das Ehebett mit dem Baldachin und den Vorhängen, die den Luftzug abhielten, war mehr als groß genug für die drei Frauen und das
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