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Die narzisstische Gesellschaft

Die narzisstische Gesellschaft

Titel: Die narzisstische Gesellschaft
Autoren: Hans-Joachim Maaz
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Beziehungen, die nicht durch Übertragungen und Projektionen, also durch Erwartungen und Enttäuschungen, geprägt, sondern durch individuelle Möglichkeiten wechselseitig ergänzt und erweitert werden. Innerhalb der Gesellschaft wäre ein gesunder Narzissmus bei der Mehrheit der Bevölkerung Garant für einen sozialen Zusammenhalt, der nicht durch Erwartungs- und Leistungsdruck, Stärkekult, Karrierestreben, Profit- und Wachstumssucht unmöglich gemacht und zerstört wird.

Pathologischer Narzissmus
    Die im Folgenden beschriebenen Störungen der Selbstliebe sind weit verbreitet; es sind im Grunde durchschnittliche, also «normale» Störungen geworden. Sie signalisieren eine gestörte Normalität, mit der Folge, dass nur noch die extremeren Formen als Krankheit wahrgenommen werden. Die «Ansteckung» und Verbreitung der narzisstischen Störung mit ihren zerstörerischen und lebensbedrohlichen Folgen lässt sich, ähnlich der Pest im Mittelalter, kaum noch beherrschen.
    Der pathologische Narzissmus entfaltet sich in zwei – einander entgegengesetzten – Richtungen: als übermäßige Selbstliebe (Größenselbst) und als mangelnde Selbstliebe (Größenklein). Beiden Varianten liegt eine wesentliche Störung des Selbstgefühls, der Selbstbezogenheit zugrunde. Das Selbst hat mehrere Facetten:
    eine differenzierte Vorstellung von der eigenen Person,
ein qualifiziertes Selbstwertgefühl mit entsprechender Selbstwahrnehmung,
das Wissen um die Art und Weise des individuellen Erlebens und Reagierens.
    Das Selbst trägt die Würde des Menschen. Immer gibt es auch Selbstanteile, die einem nicht gefallen, die man gern verleugnet und vor anderen verbirgt. Je unsicherer das Selbstwertgefühl ist, desto mehr werden unliebsame Selbstanteile abgewertet, bessere Fähigkeiten und Eigenschaften ersehnt oder sogar als vorhanden phantasiert. Dabei wird das Selbsterleben gerne mit erworbenen und erlernten Fähigkeiten verwechselt, die wir als Funktionen des Ich verstehen, die aber nicht das Selbst repräsentieren. Mit dem Selbst ist die unverwechselbare, je einmalige Art des Seins zusammengefasst, in der sich die genetische Matrix, beeinflusst durch die frühen prägenden Beziehungserfahrungen und Umweltfaktoren, spezifisch ausgestaltet hat. Das Selbst wird einem mitgegeben und durch äußere Einflüsse geformt – das Individuum kann sein Selbst nur erfahren, in seinen Möglichkeiten und Grenzen erkennen und auf diesem Wege Verantwortung für die unverwechselbare Art des Daseins übernehmen.
    Ich bin überzeugt davon, dass es jedem Menschen ein Urbedürfnis ist, die Struktur seines Selbst optimal zu entwickeln und zu entfalten, um das persönliche Leben in möglichst guter Übereinstimmung mit dem Selbst gestalten zu können. Zugespitzt kann man sagen, dass ein gesundes Selbst «charakterlos» ist. In jeder Lebenslage wird sich ein gesundes Selbst nach seinen Möglichkeiten zu verwirklichen trachten und dabei die Umweltfaktoren berücksichtigen – sich adäquat anpassen, sich durchsetzen und behaupten oder verhandeln und kämpfen, um die Bedingungen zu verändern. Das gestörte Selbst entwickelt einen «Charakter», der helfen soll, die Defizite des Selbst und die vollzogenen Entfremdungen zu beschützen und sich charakterlich festgelegt immer so zu verhalten, dass die Störungen des Selbst möglichst nicht schmerzen. Man kann in allen Lebenslagen selbst-synton (echt) leben, dann fühlt man sich authentisch und wohl; oder man muss selbst-dyston (unecht) reagieren, dann erlebt man sich als entfremdet, im Stress und ist unzufrieden mit sich und der Welt.
    Im Unterschied zum vererbten und früh geprägten Selbst gestaltet der Mensch sein Ich mit erworbenen und erlernten Fähigkeiten – also mit Eigenschaften, die er sich durch Lehre, Übung, Training und Nachahmung aneignet. Das Selbst ist primär – angelegt und durch die Umwelt ausgeformt; die Ich-Leistungen hingegen sind sekundär – angelernt und in eigener Verantwortung ausgestaltet. Die Selbstanlage bringe ich mit, das Ich gestalte ich aus. Für das Selbst bin ich nicht verantwortlich, nur für den Umgang mit den Manifestationen des Selbst. Die Ich-Fähigkeiten unterliegen dem Willen, der Anstrengungsbereitschaft, den Interessen und natürlich auch hilfreicher Förderung oder hinderlichen Erschwernissen.
    Für seine Ich-Leistungen ist jeder selbst verantwortlich: Welche Fähigkeiten will ich erwerben, mit welchen davon will ich es zur Meisterschaft bringen und welche will
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