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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman
Autoren: Fred Vargas
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verschlimmert hatte. Seine Frau, eine stumme, kleine Korsin, huschte wie eine schwarze Fee vorüber und servierte die Speisen.
    »Eines Tages«, sagte Adamsberg und wies mit einer Geste auf sie, »wird sie ihn mit zwei großen Batzen Brotkrume ersticken.«
    »Schon möglich«, meinte Veyrenc zustimmend.
    »Da steht sie immer noch auf dem Bürgersteig«, sagte Adamsberg und warf erneut einen Blick nach draußen. »Sie wartet seit fast einer Stunde unter dieser bleiernen Sonne. Sie weiß nicht, was sie machen soll, wie sie sich entscheiden soll.«
    Veyrenc folgte Adamsbergs Blick und sah eine schmächtige kleine Frau, adrett bekleidet mit einer geblümten Bluse, einer, wie man sie in den Geschäften in Paris nicht findet.
    »Bist du sicher, dass sie auf dich wartet? Sie steht nicht gegenüber der Brigade, sie läuft zehn Meter davon entfernt auf und ab. Sie hat eine Verabredung, die nicht eingehalten wurde.«
    »Sie steht meinetwegen dort, Louis, kein Zweifel. Wer würde sich in so einer Straße verabreden? Sie hat Angst. Das ist es, was mir zu denken gibt.«
    »Weil sie fremd ist in Paris.«
    »Vielleicht ist sie sogar das erste Mal hier. Also hat sie ein ernstes Problem. Was aber deines nicht löst, Veyrenc. Du überlegst nun schon seit Monaten, hängst die Füße in deinen Fluss und hast noch immer nichts entschieden.«
    »Du könntest die Frist verlängern.«
    »Das habe ich schon gemacht. Heute Abend um sechs musst du unterschrieben oder nicht unterschrieben haben. Dass du in den Polizeidienst zurückkehrst oder nicht. Du hast noch viereinhalb Stunden«, fügte Adamsberg unbekümmert hinzu und sah auf seine Uhr, genauer gesagt auf die beiden Uhren, die er am Handgelenk trug, ohne dass man recht wusste, warum.
    »Ich hab noch genügend Zeit«, sagte Veyrenc und rührte seinen Kaffee um.
    Kommissar Adamsberg und der Ex-Lieutenant Louis Veyrenc de Bilhc, aufgewachsen in zwei benachbarten Dörfern der Pyrenäen, besaßen beide gleichermaßen eine Art abgehobener Ruhe, die etwas ziemlich Verwirrendes hatte. Sie konnte bei Adamsberg alle Anzeichen einer erschreckenden Unaufmerksamkeit und Gleichgültigkeit annehmen. Bei Veyrenc führte diese Teilnahmslosigkeit mitunter zu unerklärlichem plötzlichen Verschwinden, zu hartnäckigem Eigensinn, der rigoros und verschwiegen war und sich gelegentlich sogar zu Anwandlungen von Jähzorn steigerte. »Das hat das alte Gebirge so gemacht«, sagte Adamsberg ohne jede weitere Begründung. »Das alte Gebirge kann keine lustig wogenden Gräser ausspucken wie die weiten Auen des Flachlands.«
    »Gehen wir«, sagte Adamsberg plötzlich und zahlte schnell ihr Essen, »die kleine Frau haut gleich ab. Sieh nur, sie verliert den Mut, ihr Zweifel gewinnt die Oberhand.«
    »Auch ich zweifle«, sagte Veyrenc und trank seinen Kaffee in einem Zug aus. »Aber mir hilfst du nicht.«
    »Nein.«
    »Also gut.
So geht er zögernd denn, allein, vom Zweifel gebeugt, /Und nirgends eine Hand, die hilfreich sich ihm zeigt.
«
    »Man kennt seine Entscheidung immer schon lange, bevor man sie trifft. Im Grunde von Anfang an. Darum nutzen Ratschläge überhaupt nichts. Nur dass ich dir wieder einmal sagen muss, dass dein Verseschmieden Commandant Danglard auf den Geist geht. Er mag es nicht, wenn man die Dichtkunst massakriert.«
    Adamsberg grüßte den Wirt mit einer sparsamen Geste. Überflüssig, ihn anzusprechen, der Dicke mochte das nicht, oder genauer gesagt, er mochte nicht sympathisch sein. Passend zu seinem Etablissement war er kahl, betont proletenhaft, ja nahezu kundenunfreundlich. Es tobte ein erbitterter Kampf zwischen dem stolzen, kleinen Bistro und der opulenten Brasserie auf der anderen Straßenseite. Je mehr die
Brasserie der Philosophen
ihr Image einer reichen, etwas preziösen alten Dame pflegte, desto kärglicher gab sich der
Würfelbecher,
denn beide lagen in gnadenlosem sozialen Wettbewerb miteinander. »Eines Tages«, murmelte Commandant Danglard, »gibt es hier noch einen Toten.« Nicht gerechnet die kleine Korsin, die ihrem Mann den Hals mit Brotkrume stopfen würde.
     
    Beim Verlassen des Cafés stöhnte Adamsberg auf unter dem Eindruck der glühenden Luft und näherte sich vorsichtig der kleinen Frau, die immer noch ein paar Schritte von der Brigade entfernt stand. Eine Taube hockte vor dem Eingangsportal des Gebäudes, und er fürchtete, wenn er den Vogel im Vorbeigehen aufschreckte, würde die Frau durch einen mimetischen Effekt ebenfalls davonfliegen. Als wäre sie leicht,
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