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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman
Autoren: Fred Vargas
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eingeräumt, um mir keinen Tadel einzuhandeln. Während sie doch schon tot war.«
    »Während Sie sie doch gerade umgebracht hatten.«
    »Ja«, sagte der Mann mit einem achtlosen Seufzer, während er wieder einige Kästchen in seinem Rätsel ausfüllte. »Der Arzt war den Abend vorher da, sie zu untersuchen, er hat mir versichert, dass sie noch etliche Monate durchhalten würde. Das hieß noch Dutzende Dienstage mit fetten Pastetchen,noch Hunderte Beschwerden, noch Tausende Male der Putzlappen vor meiner Nase. Mit sechsundachtzig Jahren hat man das Recht, mit dem Leben zu beginnen. Und dann kommt so ein Abend. Ein Abend, wo ein Mann aufsteht und handelt.«
    Und Tuilot stand auf, öffnete die Fensterläden des Esszimmers und ließ die bleierne, klebrige Hitze dieser ersten Augusttage hereinströmen.
    »Auch die Fenster wollte sie nicht aufmachen. Aber das alles werde ich nicht sagen, Kommissar. Ich werde sagen, dass ich sie getötet habe, um ihr Leiden zu ersparen. Mit der Krume vom Brot, weil sie die so mochte, gleichsam als eine letzte kleine Leckerei. Ich habe alles hier drin bedacht«, sagte er und pochte sich an die Stirn, »niemand wird beweisen können, dass ich es nicht aus Barmherzigkeit getan habe. Stimmt’s? Aus Barmherzigkeit. Ich werde freigesprochen werden, und zwei Monate später bin ich wieder zu Hause, ich werde mein Glas einfach so auf den Tisch stellen, ohne einen Untersetzer, und wir werden uns alle drei sehr wohl fühlen, Toni, Marie und ich.«
    »Ja, das glaube ich«, sagte Adamsberg und stand sachte auf. »Es kann aber auch sein, Monsieur Tuilot, dass Sie es nicht wagen werden, Ihr Glas auf den Tisch zu stellen. Dass Sie vielleicht doch diesen Untersetzer rausholen. Und dass Sie am Ende sogar die Krümel wegwischen.«
    »Und warum sollte ich das tun?«
    Adamsberg zuckte mit den Schultern.
    »Ich sage nur, was ich gesehen habe. Häufig geschieht es eben so.«
    »Keine Sorge, nicht bei mir. Ich bin schlau, wissen Sie.«
    »Das stimmt, Monsieur Tuilot.«
     
    Die Hitze draußen ließ die Leute in den Schatten flüchten, mit offenen Mündern schlichen sie dicht an den Häuserwänden entlang. Adamsberg wählte den sonnenbeschienenenleeren Bürgersteig und beschloss, sich zu Fuß nach Süden treiben zu lassen. Ein langer Marsch, um das vergnügte – und in der Tat schlaue – Gesicht des Kreuzworträtsel-Champions loszuwerden. Der sich an einem der nächsten Dienstage vielleicht ein Schweinspastetchen zum Abendessen kaufen würde.

2
    Eineinhalb Stunden später kam er in der Brigade an, sein schwarzes T-Shirt war schweißnass, und seine Gedanken waren wieder geordnet. Es kam selten vor, dass ein guter oder ein schlechter Eindruck Adamsbergs Verstand sehr lange beschäftigte. Wobei man sich fragen konnte, ob er überhaupt einen hatte, einen Verstand, wie seine Mutter zu sagen pflegte. Er diktierte seinen Bericht für den vergrippten Kommissar, ging beim Empfang vorbei, um nach eingegangenen Nachrichten zu fragen. Brigadier Gardon, der an der Telefonzentrale saß, hielt den Kopf gesenkt, um den Luftstrom eines kleinen Ventilators abzubekommen, der auf dem Fußboden stand. Seine feinen Haare wehten in dem frischen Lüftchen, so als säße er unter der Trockenhaube eines Frisiersalons.
    »Lieutenant Veyrenc wartet im Café auf Sie, Kommissar«, sagte er, ohne sich aufzurichten.
    »Im Café oder in der Brasserie?«
    »Im Café, im
Würfelbecher

    »Veyrenc ist nicht mehr Lieutenant, Gardon. Erst heute Abend werden wir wissen, ob er von neuem in den Ring steigt.«
    Adamsberg betrachtete den Brigadier einen kurzen Moment, wobei er sich fragte, ob wohl Gardon einen Verstand hatte und, wenn ja, was er da hineintun mochte.
     
    Er setzte sich zu Veyrenc an den Tisch, und beide Männer begrüßten sich mit einem offenen Lächeln und einem langen Händedruck. Nur manchmal noch jagte die Erinnerung anVeyrencs plötzliches Auftauchen in Serbien 1 Adamsberg einen kurzen Schauer über den Rücken. Er bestellte einen Salat, und während er aß, gab er einen sehr langen Bericht über Madame Tuilot Lucette, Monsieur Tuilot Julien, Toni, Marie, ihre Liebe, den Brotkanten, den Tritt vom Mülleimer, die geschlossenen Fensterläden, die Schweinspastete vom Dienstagabend. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick durch die Fensterscheibe des Cafés, die Tuilot Lucette viel gründlicher geputzt hätte.
    Veyrenc bestellte zwei Kaffee beim Wirt, einem dicken Kerl, dessen ohnehin grantige Laune sich bei der Hitze noch
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