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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe
Autoren: Christopher Ross
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stellte sie fest, dass sich Emmett wieder in den Schnee gerollt hatte und auf ein weiteres Jaulkonzert verzichtete. Anscheinend hatte er sie nur aus dem Haus gelockt, um sich zwischen den Ohren kraulen zu lassen. Er gehörte zu den Hunden, die ständig verwöhnt werden wollten und schon mal streikten, wenn sie nicht die nötige Aufmerksamkeit erfuhren.
    Jetzt war nur noch das Rauschen des Windes zu hören. Alles war still und einsam, als gäbe es im weiten Umkreis keinen anderen Menschen. Wer es nicht wusste, hätte niemals vermutet, dass keine zehn Meilen entfernt eine aufstrebende Stadt aus dem Boden wuchs.
    Bisher waren es nur ein paar schäbige Häuser, die sich um Barnettes Handelsposten gruppierten, und die vielen Zelte der Männer und Frauen, die in der Hoffnung auf einen weiteren Goldrausch gekommen waren. Am 22. Juli 1902 hatte ein gewisser Felix Pedro, ein italienischer Einwanderer, der eigentlich Felice Pedroni hieß, einen riesigen Nugget aus einem Nebenfluss des Chena River geholt, und einige Leute behaupteten schon, in dieser Gegend gäbe es noch größere Goldvorkommen als am Klondike River im Yukon-Territorium, und Fairbanks würde eine noch bedeutendere Stadt als Dawson City.
    Clarissa und ihr Mann hofften, dass es nicht so war. Sie hatten den Yukon hinter sich gelassen, um in der Wildnis von Alaska ein abgeschiedenes Leben führen zu können, und hatten keine Lust, noch einmal vor den goldhungrigen Horden fliehen zu müssen. Nirgendwo ging es turbulenter und gesetzloser zu als in einer Goldgräberstadt, einer Boom Town, das hatte Clarissa vor allem in Skaguay erlebt und beinahe mit ihrem Leben bezahlt. Nichts führte zu mehr Verbrechen als die Gier der Menschen nach Gold und Silber. Eine Sucht, der Clarissa und Alex nie verfallen waren. »Mit Gold kann man sich das Glück nicht kaufen«, sagte Alex.
    Aus dem Wald drangen die vertrauten Anfeuerungsrufe eines Mannes. »Giddy-up! Vorwärts! Wollt ihr wohl laufen, ihr faulen Biester?« Das Scharren von Schlittenkufen auf dem gefrorenen Schnee begleitete seine Worte.
    Giddy-up – so trieb nur ein Mann seine Huskys an. Ein Anfeuerungsruf, den Alex von einem texanischen Cowboy aufgeschnappt hatte, der seiner Liebsten nach Kanada gefolgt war. Wenn die Huskys ihn hörten, wussten sie, dass Alex es ernst meinte und dass er es wirklich eilig hatte. »Giddy-up! Go! Go!«
    »Alex!«, flüsterte Clarissa dankbar. Sie beobachtete, wie sich der Schatten ihres Mannes aus dem dichten Flockenwirbel schälte und er den Schlitten über die Lichtung lenkte. Selbst aus weiter Entfernung und in einer Nacht wie dieser erkannte sie ihn auf Anhieb, seine kräftige Gestalt mit den breiten Schultern, seine unnachahmliche Art, wie er den Schlitten steuerte, auf die Hunde einwirkte und jede Bodenwelle und Kurve mit den Knien abfederte.
    Vor der Blockhütte hielt er den Schlitten an. Er sprang vom Trittbrett und klopfte den Schnee von seinem Anorak aus Karibufell. Verwundert zog er die Augenbrauen hoch, als er seine Frau ohne Fellmütze und Handschuhe vor der Blockhütte stehen sah. Er ging langsam und ein wenig irritiert auf sie zu.
    »Alex … Endlich bist du wieder zu Hause!« Sie lief ihm entgegen und sank erleichtert in seine Arme. Wie jedes Mal, wenn er sie umarmte, spürte sie, wie wohlige Wärme ihren Körper durchflutete, und obwohl sie kaum fühlte, wie er seine bärtige Wange an ihre drückte, lächelte sie dankbar. »Ich hatte Angst um dich, Alex! Ich dachte, es wäre irgendwas Schreckliches passiert.«
    Normalerweise hätte er mit einem Scherz wie »Unkraut vergeht nicht!« geantwortet und sie noch vor der Tür geküsst, aber diesmal wirkte er ungewöhnlich ernst, und als sie sich von ihm löste und in seine Augen blickte, entdeckte sie Sorge und auch ein wenig Angst. »Lass uns ins Haus gehen«, sagte er. »Wie ich dich kenne, hast du heißen Tee auf dem Herd stehen.«
    »Und die Hunde? Was ist mit den Hunden?« Clarissa blickte ihn verwundert an. Normalerweise hätte sich Alex wie jeder gute Musher zuerst um sein Hundegespann gekümmert, selbst wenn er stundenlang in der Wildnis unterwegs gewesen und todmüde war, doch diesmal steuerte er sofort das Haus an. Sie folgte ihm zögernd. »Du willst gleich weiter, nicht wahr?«
    Er antwortete erst, als sie in der Hütte waren und er die Tür geschlossen hatte. »Du hast recht … sobald der Deputy und seine Männer hier sind, muss ich weiter. Ich gehöre zu seinem Aufgebot. Wir verfolgen drei Bankräuber.«

2
    Clarissa
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