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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler
Autoren: Gert Heidenreich
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kam aus dem Haus, keiner pfiff die Hunde zurück. Er wartete. Er wusste: Man musste sie ansehen, man musste ihnen mitten in die Pupillen sehen und ruhig bleiben und warten. Das Salz brannte in seinen Augen. Die Fliegen tranken sich an seinem Schweiß satt. Ihm fiel sein Dorf im Sand ein. Seine ersten drei Jahre. Damals hatte er es aufgegeben, die Fliegen zu verscheuchen. Er versuchte, so wenig wie möglich zu blinzeln. Die Hunde witterten seine Angst. Jetzt hörten sie auf zu bellen. Sie standen mit zitternden Flanken und blickten zu ihm herüber – er fixierte sie weiter, wartete – und nun legten sie sich, begannen leise zu fiepen. Erst jetzt sah er, wie elend sie waren, räudig, das schwarze Fell matt und verfilzt. Er wartete noch einige Minuten, bis sie still wurden. Dann ging er langsam auf sie zu. Er sah ihnen weiter in die Augen. Sie wandten den Kopf ab und blieben liegen. Er hatte gewonnen. Als er dicht vor ihren trockenen Schnauzen stand, wuchteten sie sich hoch, berochen ihn, strichen um seine Beine, fiepten wieder und schnappten nach den Fliegen. Er warf seine Wäscheballen auf den Boden, legte die Teppiche darüber und setzte sich auf die Bank. Noch spürte er sein Herz bis unter die Zunge, aber es schlug langsamer, sein Atem ging ruhiger. Er wartete. Niemand ließ sich sehen. Er hatte Durst. Und Hunger. Er wollte nicht betteln, er wollte verkaufen oder tauschen, ein Paar Socken gegen drei Gläser Wasser. Zwei Unterhemden gegen ein Brot. Hoffentlich war eine Frau im Haus. Frauen waren großzügiger, sie schenkten ihm manchmal sogar ein Stück Käse. Vielleicht fürchteten sie sich auch nur, weil es allgemein hieß, dass die Nordafrikaner häufig Frauen vergewaltigen würden, häufiger noch als die Zigeuner, die mehr auf den Diebstahl von Kindern spezialisiert seien … Er konnte sich nicht vorstellen, einer Frau Gewalt anzutun. Aber er hatte Hunger. Die Zunge klebte am Gaumen fest, bald wäre sie mit ihm verwachsen, mit jedem Atemstoß kam aus seinem Rachen ein fauliger Gestank. Er ekelte sich vor sich selbst. Er musste Wasser haben, und vielleicht eine Zwiebel. Eine Zwiebel wäre wunderbar, er liebte ihre scharfe Süße, den brennenden Saft. Bestimmt gab es in diesem reichen Haus Zwiebeln. Als er aufstand, kümmerten sich die Hunde nicht mehr um ihn. Drei Stufen führten zur Tür. Er trat in die Küche ein. Zuerst sah er die leeren Flaschen auf dem Boden stehen. Dann den Alten in seiner dunkelbraunen Strickjacke, der, vornüber gesunken, mit Kopf und Schultern auf dem Tisch lag. Seine Glatze leuchtete. Jetzt sah der Händler das Weinglas, halb voll noch, ein fast schwarzer Rotwein. Er konnte nicht anders, er griff nach dem Glas und schüttete sich den Wein in den Mund. Einen Augenblick lang glaubte er nicht, was er auf der Zunge spürte, dann spie er den Sud aus. Tote Fliegen und Essig. Er sammelte Speichel und spuckte. Der Alte rührte sich nicht. Der Händler sah sich um. Nichts. Keine Zwiebel, kein Brot, kein Käse. Er öffnete den Kühlschrank, aus dem ihm ein bitterer Geruch entgegen fiel. Er warf die Tür zu. Nichts als leere Flaschen und Papier. Ein dicker Stapel Papier, beschrieben mit einer steilen und engen Handschrift, Briefe vielleicht, den letzten Bogen hatte der Alte noch unter sich, der Füllfederhalter war über die Tischkante gerollt und lag in einer Tintenpfütze am Boden. Nichts also. Papier und nichts. Der Händler ging zum Spülbecken, öffnete den Wasserhahn, hielt seinen Kopf in den Strahl, fing das Wasser mit offenem Mund auf, es war warm und schmeckte brackig, aber es löschte den Durst. Er ließ es sich über den Kopf und ins Haar laufen, wusch sich Gesicht und Hände. Sollte er nun gehen, ohne etwas bekommen zu haben? Wofür hatte er seine Furcht überwunden? Wofür die Höllenhunde bezwungen? Für nichts? Nicht das kleinste Geschäft? Irgendwas musste der Alte hergeben, und sei es als Strafe dafür, dass er reich war und bis zur Erschöpfung Wein trinken durfte, oder dafür, dass er seine Hunde verkommen ließ. Der Händler zog das Papier langsam unter dem nackten Schädel, unter der weichen Backe hervor. – Aber warum nur den einen Bogen? Gewiss gehörten auch die anderen dazu. Und der Händler legte den einen auf den Stapel der übrigen, packte alles und trug es in das blendende Tageslicht hinaus. Er hatte gestohlen. Seit langer Zeit wieder, und etwas, das ihm wertlos schien. Er wusste, dass es falsch war, aber es wäre mindestens so falsch gewesen, das Haus ohne etwas zu
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