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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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aber Mrs. Edwards
übt sich im Beisein ihrer Söhne in ungewohnter Zurückhaltung.
    Mrs. Edwards trägt einen khakifarbenen Hosenrock und ein weißes Polohemd,
das einen hartnäckigen Wulst über ihrer Taille nicht verbirgt. Sydney würde zu weißen
Hemdblusen raten, lose über einer längeren Hose getragen – aber es steht ihr nicht
zu, gute Ratschläge zu erteilen. Mr. Edwards kleidet sich wie ein Mann, der sich
über seine Kleidung keine Gedanken macht: schlabberige Khakihose und noch weitere
Golfhemden, die ihm lose über die Schultern fallen. Manchmal legt er seine Hände
flach auf den Bauch, der wie aufgeklebt an seinem langen Körper hängt, und bedauert
leichten Tons, das Donut zum Frühstück gegessen, beim Abendessen der Versuchung
des Kokosnusskuchens nachgegeben zu haben. Man merkt jedoch, dass er sich an diesen
kleinen Genüssen erfreut hat, dass er kein Mensch ist, der um der Eitelkeit willen
auf ein flüchtiges Vergnügen verzichtet. Ganz im Gegensatz zu Mrs. Edwards, die
ihre Kohlehydrate gewissenhaft zählt und mit den Mengen an Eiern, Fleisch und Käse,
die sie verzehrt, einem frühen Tod entgegenzueilen scheint. Selbst das kohlehydratarme
Eiskonfekt mit seinem feuchten, klebrigen Glanz, das sie abends knabbert, scheint
Cholesterinmoleküle direkt in ihre Blutbahn zu befördern.
    Mrs. Edwards trägt das blonde Haar etwas über kinnlang und rafft es
oft am Hinterkopf mit einer Bananenspange zusammen, was eigentlich hübsch aussehen
sollte, stattdessen aber ihre eckige Kopfform und den ergrauten Haaransatz hervorhebt.
Sydney würde, wie zu weißen Hemdblusen, zu einem anderen Haarschnitt raten, aber
auch hier gilt, es gehört nicht zu ihren Aufgaben.
    Jeff steht nicht weit entfernt von Sydney ans Verandageländer gelehnt.
Seine schmächtigere Gestalt lässt ihn schutzlos erscheinen, während Bens Körper,
entspannt zur Schau gestellt, unverletzlich scheint.
    Man redet über die Staus an den Mautstellen von Hampton, spricht scherzhaft
davon, zivilen Ungehorsam zu üben, um den Staat endlich zur Einführung eines elektronischen
Kartensystems zu bewegen: Man sucht sich sieben Leute, die in die Mautstelle einfahren,
ihre Autos stehen lassen und einfach gehen. Ben lässt Julie los und greift nach
einem Glas Eistee. Er leert es mit einem Zug, die Eiswürfel schlagen dabei an seine
Oberlippe. Sein Motor läuft mit einer höheren Drehzahl als der seines Bruders: Er
scheint voller Ungeduld, etwas zu unternehmen. Er verschränkt die Finger im Nacken
und bewegt die angewinkelten Arme vor und zurück. Er fragt seinen Vater nach seinem
Golfspiel.
    »Von Mal zu Mal schlechter«, antwortet Mr. Edwards, aber keiner glaubt
ihm. Von ihm, dem gütigen Patriarchen, ist Bescheidenheit zu erwarten.
    Mrs. Edwards wird nach den Gästen gefragt, die auf Antiquitätenjagd
nach Portsmouth gefahren sind. Eine Viererpartie Golf wird für den nächsten Morgen
in Aussicht genommen.
    Die Brüder erwähnen das Abendessen. Sydney tippt auf Hummer, gekochte
Muscheln, Beerenkuchen. Jeff und Ben sind zum ersten Mal zu Besuch da, seit sie
Anfang Juli hier angekommen ist. Tatsächlich sind sie seit Mitte Juni nicht mehr
im Sommerhaus gewesen, die Arbeit und andere Verpflichtungen haben sie an einem
Besuch gehindert. Aber das wird sich bald ändern, verspricht Ben. Wenn sie das nächste
Mal kommen, werden sie eine ganze Woche bleiben. Mrs. Edwards’ Blick schweift immer
wieder ins Unbestimmte. Man sieht ihr an, dass sie das Abendessen plant und im Geist
die Wäsche durchsieht.
    Jeff lacht leichthin, aber Sydney bemerkt, dass er mit verschränkten
Armen steht. Sie wüsste gern, woran er denkt, wenn er nicht mit ganzer Aufmerksamkeit
zuhört. Kosten-Nutzen-Analysen von Regimewechseln im Sudan? Komplizierte Algorithmen,
bei denen es um Terrorismus und den Ölpreis geht?
    Sydney kann sich Ben gut bei seiner Arbeit vorstellen. In Hemdsärmeln
und mit Krawatte macht er sicher eine solide, gut aussehende Figur, die dunklen
Augen versprechen Ernsthaftigkeit, und das Lächeln liefert die Leichtigkeit.
    Vielleicht macht er in seinem Büro das Gleiche wie zu Hause: verschränkt
die Finger im Nacken und bewegt die angewinkelten Arme vor und zurück.
    Die intakte Zelle trinkt mit klirrenden Eiswürfeln ihren Eistee. Man
erwähnt die Stewarts und ein Paar namens Morrison. Es ist von einem Segelausflug
nach Gloucester die Rede. Sydney kommt sich vor, als versuchte sie, aus einem Text,
in dem die Hälfte der relevanten Sätze geschwärzt ist und die
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