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Die Muenze von Akragas

Titel: Die Muenze von Akragas
Autoren: Andrea Camilleri
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Am Morgen des 28. Dezember besteigt Demaria um 5.20 Uhr gerade sein Pferd, weil er im Nachbarort ein Geschäft zu erledigen hat. Die Wucht des Erdstoßes wirft ihn zu Boden, wo er eine Weile benommen liegenbleibt. Als er sich wieder erhebt, ist seine Villa ein unförmiger Haufen Schutt. Um ihn herum stürzen unter ohrenbetäubendem Lärm Häuser in sich zusammen, und ein dichter Nebel steigt auf, in dem man nichts mehr erkennt. Aber es ist kein Nebel, sondern der Staub, der sich aus den zerstörten Gebäuden erhebt. Carlo gelang es trotzdem auf den Trümmerberg zu klettern, und jetzt ruft er, bäuchlings auf den Steinen liegend, laut nach Frau und Tochter. Aus einer unendlichen Ferne hört er die Stimme der kleinen Caterina. Er fängt an, um Hilfe zu schreien, doch die Menschen, die vorübergehen, scheinen ihn nicht zu hören, entweder irren sie orientierungslos umher oder halten sich beim Laufen die Ohren zu. Carlo gräbt mit den Händen. Er braucht vier Stunden, bis er begreift, dass er allein nichts ausrichten wird. Also läuft er ins Rathaus. Das nicht mehr existiert. Doch in der Nähe stehen der stellvertretende Bürgermeister und einige Stadträte. Carlo bekommt zwei Schaufeln und einen Polizisten als Helfer.
    Sie graben den ganzen Tag, ohne sichtbare Fortschritte zu machen. Als der Abend anbricht, verabschiedet sich der Polizist zu Tode erschöpft. Mit der Kraft der Verzweiflung gräbt Carlo die ganze Nacht weiter. Am nächsten Morgen sieht er in der Bucht Kriegsschiffe ankommen. Er erkennt die Flaggen: Es sind Schiffe der Russischen Kriegsmarine. Er läuft zu seinem engen Freund Savastano, der das Amt des russischen Konsuls in Messina bekleidet. Savastano soll bei den Hilfstruppen ein gutes Wort für ihn einlegen. Doch er muss erfahren, dass Savastano wahrscheinlich mit seiner ganzen Familie umgekommen ist. Also eilt er zum Hafen und gibt sich gegenüber den Matrosen der ersten anlandenden Schaluppe, Französisch sprechend, als der russische Konsul aus. Er hat Glück: In diesem Boot sitzt eine der Bergungstruppen. Drei Stunden später retten die Russen die kleine Caterina, die nicht einmal verletzt ist. Für ihre Mutter aber kommt jede Hilfe zu spät. Von diesem Moment an muss Carlo Demaria weiter den russischen Konsul spielen. Ihm wird ein Zelt zur Verfügung gestellt, über dem die Fahne des Zarenreichs flattert.
     
    Am späten Nachmittag des Tages, an dem das Erdbeben stattfand, füllt Marchese Stefano Longhitano einen Koffer mit Bargeld, steckt sich Juwelen und einen überaus wertvollen Gegenstand in die Tasche und verlässt Girgenti, das einstige Akragas, mit der Kutsche Richtung Messina.
    Dort ist seine Frau Angela seit drei Tagen zu Gast bei ihrer Freundin Irina Kropotkin, einer Russin, die vor vielen Jahren den Baron Giummarra heiratete. Der Marchese will seine Frau wiederfinden, er ist bereit, seinen gesamten Besitz bis auf den letzten Centesimo dafür auszugeben.
    Am Nachmittag des folgenden Tages kommt er in Messina an. Vor den Toren dessen, was einst die Stadt war, muss er aus der Kutsche steigen und mit dem Koffer in der Hand zu Fuß weitergehen. Den Palazzo Giummarra gibt es nicht mehr.
    Verzweifelt geht er ins Rathaus. Welches aus einem Tisch und einem Angestellten besteht, vor dem eine endlos lange Menschenschlange ausharrt.
    Während er wartet, bis er an der Reihe ist, erfährt er, dass die Russen Listen mit den Namen aller von ihnen geretteten Personen aufstellen. Er kann sich nicht länger gedulden, die Sorge frisst ihn auf. Er verlässt die Warteschlange und läuft zum Hafen. Da bemerkt er ein Zelt mit einem Schild über dem Eingang, das die Aufschrift trägt: Russisches Konsulat. Er tritt ein.
    «Sie wünschen?», fragt Demaria in seiner Rolle als falscher Konsul.
    Der Marchese erzählt ihm alles.
    Demaria überprüft die Listen. Dann schaut er zum Marchese auf, lächelt und sagt:
    «Sie sind alle drei lebend aus den Trümmern geborgen worden. Der Baron ist ernsthaft verletzt, doch die beiden Frauen haben nur leichte Verletzungen davongetragen. Sie werden an Bord der Zessarewitsch, dem Admiralsschiff, behandelt.»
    «Darf ich zu meiner Frau?», fragt der Marchese.
    «Ich werde sehen, was ich tun kann», antwortet der falsche Konsul.
     
    Nach der Begegnung mit seiner Frau kann sich Stefano Longhitano vor Freude kaum fassen.
    Er will die Truppe ausfindig machen, die seine Angela aus den Abgründen der Hölle herausgezogen hat, um die Männer mit Geld zu überschütten. Doch der falsche
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