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Die Morde des Herrn ABC

Die Morde des Herrn ABC

Titel: Die Morde des Herrn ABC
Autoren: Agatha Christie
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unterhalten?»
    «Sollten Sie sich nicht zuerst den kleinen Laden anschauen, wo das Verbrechen stattgefunden hat?»
    «Das möchte ich lieber erst danach tun.»
    Weitere Erklärungen schien er nicht abgeben zu wollen, und wenige Minuten später fuhren wir bereits Richtung Overton.
    Die Adresse, die der Inspektor uns aufgeschrieben hatte, führte zu einem großen, schönen Haus, das ungefähr eine Meile außerhalb des Dorfes lag.
    Auf unser Läuten hin erschien ein hübsches dunkelhaariges Mädchen, dessen Augen rot verweint waren.
    «Ach!» Poirot war die rücksichtsvolle Liebenswürdigkeit in Person. «Wenn ich nicht irre, dann sind Sie Miss Mary Drewer, Stubenmädchen in dieser Villa?»
    «Ja, Sir, das stimmt. Ich bin Mary.»
    «Dürfte ich wohl ein paar Minuten mit Ihnen sprechen, wenn Ihre Herrin nichts dagegen hat. Es handelt sich um Ihre Tante, Mrs. Ascher.»
    «Die Dame ist ausgegangen, Sir. Sie hätte bestimmt nichts dagegen, wenn Sie eintreten würden.»
    Sie öffnete die Tür zu einem kleinen Besuchszimmer. Wir traten ein, Poirot setzte sich in einen Lehnstuhl beim Fenster und betrachtete das Mädchen sehr aufmerksam.
    «Sie haben gewiss schon vom Tod Ihrer Tante gehört», sagte er freundlich.
    Das Mädchen nickte, und wieder stiegen ihm Tränen in die Augen.
    «Heute früh, Sir. Die Polizei kam heraus. Es ist schrecklich! Arme Tante! So ein hartes Leben hatte sie – und jetzt das! Es ist zu grässlich!»
    «Hat die Polizei Sie nicht aufgefordert, mit ihr nach Andover zu kommen?»
    «Man hat mir gesagt, dass ich am Montag zur Leichenschau kommen müsse. Aber ich kann mich wirklich nirgends mehr aufhalten dort – schon gar nicht in der Wohnung über dem Geschäft –, und dann ist das Hausmädchen auch gerade nicht hier. Ich wollte der Herrin nicht mehr Ungelegenheiten bereiten.»
    «Sie haben Ihre Tante sehr gern gehabt, Miss Drower?»
    «Ja, Sir, sehr gern. Tante war immer gut zu mir. Sie hat mich aufgenommen, als ich mit elf Jahren nach London kam, nach dem Tod meiner Mutter. Mit sechzehn ging ich dann auch in Stellung, aber meine freien Tage habe ich fast immer bei Tante verbracht. Und was sie mit dem Deutschen alles durchmachen musste! ‹Der alte Teufel›, nannte sie ihn manchmal. Nirgends konnte er sie in Ruhe lassen. Der elende Schmarotzer!»
    Das Mädchen hatte mit empörter Heftigkeit gesprochen.
    «Hat Ihre Tante nie daran gedacht, sich auf gesetzlichem Wege von seinen Nachstellungen zu befreien?»
    «Nun, schließlich war er ihr Mann, Sir, und deshalb musste sie das durchstehen.»
    Das klang einfach und entschieden.
    «Sagen Sie mir, Mary, hat er sie bedroht?»
    «O ja, Sir! Manchmal sagte er abscheuliche Sachen. Er werde ihr die Gurgel durchschneiden und solches Zeug. Dann fluchte er deutsch und englisch durcheinander. Und trotzdem hat Tante immer behauptet, dass er ein großer, schöner Mann gewesen sei, als sie ihn heiratete. Es ist ein Elend zu sehen, wohin es mit den Menschen kommen kann.»
    «Ja, allerdings. – Aber nachdem Sie also diese Drohungen und Flüche selber mit angehört hatten, Mary, waren Sie vermutlich nicht weiter erstaunt, als man Ihnen mitteilte, was geschehen ist?»
    «O doch, Sir, sehr erstaunt! Sehen Sie, ich glaubte nie, dass er seine Verwünschungen ernst meinte. Ich hielt sie einfach für grobe Redensarten, weiter nichts. Und ich hatte nie das Gefühl, dass Tante sich ernstlich vor ihm fürchtete. Manchmal schlich er davon wie ein Hund, der den Schwanz einzieht, wenn sie ihm gründlich die Leviten gelesen hatte. Er hatte Angst vor ihr – wenn man so will.»
    «Und doch gab sie ihm immer wieder Geld.»
    «Ja, er war eben ihr Mann, verstehen Sie, Sir.»
    «Ja, das bemerkten Sie schon vorhin.» Er schwieg lange. Dann sagte er: «Wenn er sie also nicht umgebracht haben sollte…»
    «Nicht umgebracht?», wiederholte sie erstaunt.
    «So sage ich, ja. Wenn jemand anders Ihre Tante ermordet haben sollte… Haben Sie eine Ahnung, wer dieser Jemand sein könnte?»
    Sie schien sich von ihrem verblüfften Staunen gar nicht erholen zu können.
    «Nein, Sir, wirklich nicht. Aber das scheint doch gar nicht möglich zu sein, oder doch, Sir?»
    «Fürchtete sich Ihre Tante vor jemandem?»
    Mary schüttelte den Kopf.
    «Tante hatte vor niemandem Angst. Sie hatte eine scharfe Zunge und konnte sich gegen jedermann zur Wehr setzen.»
    «Sie haben nie gehört, dass jemand ihr etwas nachtrug?»
    «Nein, bestimmt nicht, Sir.»
    «Bekam sie jemals anonyme Briefe?»
    «Was für Briefe,
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