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Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Die Mondspielerin: Roman (German Edition)

Titel: Die Mondspielerin: Roman (German Edition)
Autoren: Nina George
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der kostet?!«
    »Es ist unser Hochzeitstag.«
    »Das ist kein Grund, herumzuprassen. Du kannst mit meinem Geld nicht einfach machen, was du willst.«
    Sie hatte damals nicht geweint. Sie hatte nie im Beisein von Lothar geweint. Nur unter der Dusche, wo er es nicht sehen konnte.
    Sein Geld. Sie hätte gern für ihr eigenes Geld gearbeitet.
    Sie hatte gearbeitet, weiß Gott, erst auf dem Hof ihrer Mutter im Wendland, dann als Hebamme zusammen mit ihrer Großmutter und schließlich als Hauswirtschafterin, bis Lothar sie heiratete und er es sich verbat, dass sie Fremden den Haushalt führte; sie hatte seinen zu führen. Sie war seine Putzfrau gewesen, seine Köchin, seine Gärtnerin, seine Gattin, sein Frauchen, »sein Stützpunkt«, wie er es nannte. Für ihre Mutter war sie Sterbepflegerin gewesen, zwanzig Jahre, erst an Mariannes zweiundvierzigstem Geburtstag war es vorbei gewesen. Marianne hatte das Haus bis dahin fast nur zum Einkaufen verlassen, zu Fuß, Lothar hatte ihr verboten, das Auto zu nehmen, und ihre Mutter hatte jeden Tag ins Bett gemacht. Sie konnte nicht selbst aufs Klo gehen, aber Marianne beschimpfen, das konnte sie, jeden Tag, und Lothar schlief immer öfter in der Kaserne oder ging alleine aus, er schrieb seinem Frauchen aus seinen Urlauben Postkarten und ließ die Mamuschka herzlich grüßen.
    Marianne ließ den Ehering fallen.
    In diesem Augenblick hörte Marianne die Sirene und schloss die Augen, bis der gellende Ton, der sich aus dem Straßengedärm der Stadt näherte, vor ihr innehielt.
    Die Clochards wichen vor dem blauen zuckenden Licht zurück, und als zwei Sanitäter und eine kleine Frau mit einem Koffer auf sie zueilten, trat der Mann mit dem Fischerhemd vor, wies auf Marianne, zeigte auf die Seine und tippte wieder an seinen Kopf.
    Er hält mich für eine Verrückte, dachte Marianne.
    Sie versuchte, in ihr Gesicht das Lächeln zu pressen, das sie Lothar seit Jahrzehnten zeigte. »Du bist viel hübscher, wenn du lächelst«, hatte er nach ihrer ersten Verabredung gesagt.
    Er war der erste Mann, der sie hübsch genannt hatte, trotz des Mals und trotz allem anderen. Sie war nicht verrückt. Nein.
    Und sie war nicht tot.
    Sie sah zu dem Mann, der sie aus der Seine gezogen hatte, ohne dass sie darum gebeten hatte. Er war der Verrückte. Verrückt genug, um anzunehmen, dass man nur zu überleben bräuchte, um zu leben.
    Sie ließ sich von den Sanitätern auf die Liege schnallen. Als sie sie hochhoben und auf die geöffneten Türen des Krankenwagens zurollten, griff der Fremde mit den Himmelsaugen nach Mariannes Hand. Sie fühlte sich warm an, warm und vertraut.
    Marianne sah ihr Spiegelbild in seinen großen, schwarzen Pupillen; sie sah ihre hellen Augen, die ihr immer zu groß erschienen waren, die Nase, die so klein war, ein herzförmiges Gesicht und dunkelgraues Haar, graubraun wie totes Holz.
    Als sie ihre Hand öffnete, lag ihr Ehering darin.
    »Entschuldigen Sie die Umstände«, sagte sie, doch er schüttelte den Kopf.
    »Excusez-moi«, ergänzte sie.
    »Il n’y a pas de quoi«, sagte er ernsthaft und klopfte sich mit der flachen Hand auf seine Brust. »Vous avez compris?«, fragte er.
    Marianne lächelte. Was immer er meinte, er hatte bestimmt recht.
    »Je m’appelle Eric.«
    Er reichte der Ärztin Mariannes Handtasche.
    »Marianne«, wollte Marianne sagen, ließ es jedoch sein; es reichte, wenn er seinen Freunden erzählte, er hätte die Verrückte aus dem Wasser gezogen. Wozu ein Name, Namen sagten nichts.
    Marianne griff noch einmal nach Erics Hand.
    »Bitte«, sagte sie. »Bitte behalten Sie ihn.«
    Er starrte auf den Ring, den sie ihm zurückgegeben hatte.
    Dann schlossen sich die Türen.
    »Ich hasse dich, Eric«, wisperte Marianne, und ihr war, als ob sie immer noch seine spröden, aber so sanften Finger über ihre Wange streicheln spürte.
    Auf der Fahrt schnitten ihr die Haltegurte ins Fleisch. Die Ärztin zog eine Spritze auf und stieß sie Marianne in die Armbeuge. Dann nahm sie eine zweite Spritzenspitze mit Schmetterlingsflügeln und schob sie Marianne in den Handrücken, um einen Venentropf anzuschließen.
    »Tut mir leid, dass Sie wegen mir noch mal rausmussten«, flüsterte Marianne und sah der Ärztin in die braunen Augen, die ihr rasch auswichen.
    »Je suis allemande«, murmelte Marianne. »Allemande.«
    Es hörte sich an wie »eine Mandel«.
    Die Ärztin breitete eine Decke über sie aus und begann zu diktieren. Der junge Assistent mit dem kargen Bärtchen am Kinn
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