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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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schrie durchdringend.
    D as war der Moment, in dem sich Toms musikalischer Horizont noch mehr verschob, weg von dem, was man im Radio hörte. Live von Woodstock, nicht lange her und fast schon Geschichte.
     
     
    Oder die flirrenden Farben des Fernsehers bringen eine Erinnerung, führen ihn zurück nach Berlin, wo er das erste Mal in seinem Leben eine richtige Diskothek erlebte, das gigantische Sounds . Wo er In-A-Gadda-Da-Vida hörte, bis ihm der Atem wegblieb, und wo er seinen ersten Joint rauchte und später auf dem Rücken lag, während das löcherige Sofa sich unter ihm zu bewegen schien und sich die Zimmerdecke strahlend rot über ihn wölbte.
    Nie wieder sollte es so sein, auch nicht, als er Genesis im Müngersdorfer Stadion sah, und das Laserlicht und die wallenden Nebel ihn auf Wolken trugen. Auch nicht, als sie gemeinsam auf den Matratzen saßen und Eric Burdon and War lauschten, während die Pfeife kreiste und es nach Patschuli duftete. Lustiger war es, albern und ausgelassen, aber es wölbte sich nichts mehr, vielmehr klebte es ihn hin und wieder am Sitz fest, vor allen Dingen, wenn man das Zeug von Martin rauchte, der es auf seinem Balkon anbaute. Kichernd zur Bewegungslosigkeit verdammt.
    Ein paarmal war da LSD. Unvergesslich, aber viel zu hartnäckig wirkend, und deshalb anstrengend. Stets musste einer nüchtern bleiben, und einem sagen, ob man tatsächlich vor der Schüssel stand und pinkelte, oder es sich einbildete und sich einnässte. Farben, weich wie Watte und Geduld, so viel Geduld ... Zeit hatte keine Bedeutung mehr.
    Nur die Sache mit dem Autofahren war nicht zu empfehlen, erinnert sich Thomas. Wenn man nicht mehr wusste, wann man wo mit wem war, und alles wie ein unfasslicher Baukasten wirkte. Er rauschte an mehreren Unfällen vorbei. Von da an war Schluss mit Lysergsäurediethylamid.
    Manchmal ist auch das Glück ein Wegweiser.
     
     
    Hin und wieder ist es eine Farbe, etwa das strahlende Gelb von Sonnenblumen oder das lebhafte Grün einer Wiese, die ihn zu einem anderen Ort oder in eine andere Zeit bringt. Manchmal ist es überhaupt nichts, zumindest nichts Spezielleres als ein gewisser flacher Einfall der Sonnenstrahlen im Winter oder das Brausen der Herbststürme. Solche Augenblicke sind geheimnisvoll und schön, aber auch voll von seltsamer Bedeutung und Tod. Dann ist er mit sich alleine und genießt die magischen Momente der Erinnerung.
    Daran, wie er sie endlich doch liebte, seine erste Frau, die fünf Jahre älter war und ihn einiges lehrte. Ihr Mann war ein Bundeswehroffizier, und später werden Vater und Mutter ihm erzählen, wie sehr sie sich um ihren Filius sorgten, denn Offiziere besitzen Waffen und ein eifersüchtiger Soldat benutzte sie vielleicht. Die Frau war ohne Hemmungen und streifte ebensolche bei Tom ab, der sich fühlte, als häute er sich, als schüttele er die verbliebenen Pubertätspickel ab wie angetrocknete Körner von schweißiger Haut. Sie reinigte ihn und machte ihn bereit für die Zukunft. Es gab noch mehrere wie sie und stets waren sie älter und erfahrener als er.
    Es versteht sich, dass diese Beziehungen unglücklich endeten.
     
     
    Und dann gibt es noch die Erinnerung an Tränen. Wenn ein Kind weint, in der Ferne vielleicht. Dann erinnert er sich an seine weinende Schwester Ottilie, die das erste Mal ihre Tochter Jasmina im Arm hält. Mutterherz und Trauer. Ein krankes Kind, mehr tot als lebendig, und doch war die Liebe da und die Verantwortung. Diese Tragik für eine junge Frau, die, solange Thomas sich erinnert, die Freiheit suchte, die die eigene Mutter ihr nahm. Letztendlich fand Ottilie wieder nur Fesseln.
    Man lehrt die Einheit von Jetzt und Dann und zukünftigen Zeiten. Doch Thomas glaubt, für diese Lehrenden sind Zukunftsträume und Selbsterinnerungen nur zwei Teile eines einzigen Mysteriums.
    Für ihn sind sie das Schuhwerk, um die Mitte des Weges zu beschreiten.

3
     
    Nur wenige Menschen wissen, wie sie sterben.
    Ein Bergmann weiß es. Jeder Bergmann, vor allen Dingen jene, die als Hauer unter Tage arbeiten, wissen es. Sie haben mit ihrem ersten Arbeitstag den Tod angenommen, ihn willkommen geheißen, ihn in der Arbeitstasche verstaut, in der Hoffnung, ihn dort zu vergessen, ihn irgendwohin zu verdrängen, meistens in den Alkohol, und ihre Chance, dass es anders kommt, ist lächerlich gering.
    Mitte 50 ist kein Alter. Nicht für jemanden, der im Büro arbeitet und seine Kraft dafür nutzt, Aktenordner von einem Zimmer ins andere zu
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