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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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Gefühl hat, irgendein Ereignis, an das er sich dunkel erinnert, noch einmal zu erleben.
    Manchmal führt ihn das Schaben der Schneeräumer im Winter zum Geruch  von heißen Äpfeln und von diesem zurück in jene längst vergangene Nacht, in der er bei seiner ersten großen Liebe lag.
    Sie liebe ihn auch, sagte sie und ihre Augen glänzten verführerisch. Aber man solle den ersten Mann, mit dem man schlafe, nie lieben, sagte sie außerdem, denn man würde ihn nicht vergessen. Tom, von diesen Worten eingeschüchtert, unsicher und geil, tat es nicht, obwohl er litt und wollte. »Te Quero«, sagte sie, so stolz auf ihren Spanischkurs, wie er sich erbärmlich feige fühlte.
    Am nächsten Tag trennte sie sich von ihm, und seine mal stille, dann wieder laute Verzweiflung trieb ihn lange um. Hielt sie ihn für einen Versager? Wollte sie eben das, was sie verneint e?
    Überhaupt sind es die Mädchen, an die er sich erinnert.
    Sie sind wie Wegmarken, die seine frühe Jugend kennzeichnen.
    Jahr für Jahr, während er sich aus der Pubertät kämpfte wie aus einem Sumpf, der ihn zu verzehren schien.
    Frühreif war er, denn er hatte Achselhaare und welche zwischen den Beinen, als andere Jungs noch glatt waren wie Babys. Seitdem Gaby ihn küsste, damals im Proberaum von Herrn Schönfeld, träumte er von Mädchen, und seine Libido schwankte zwischen lästiger Aufgeregtheit und launischem Vollzug. Die Schritte zum Erwachsenwerden waren geprägt von duftiger Mädchenhaut und unzähligen Enttäuschungen. Küsse, gestammelte Geständnisse, liebgemeinte Worte, doch damit hatte es sich. Er war zu jung zu alt, und seine Erfahrung blieb stets ein paar Schritte hinter dem Willen zurück. Es ergaben sich ungezählte Möglichkeiten, doch nur wenige nutzte er, bevor er neunzehn war. Liebe Güte, was hätte er alles tun können, wäre er so alt gewesen, wie er sich fühlte. Sie mochten ihn, seine schon damals dunkle Stimme, seine kurzsichtigen und deshalb eindringlichen blauen Augen, seine Körpergröße und letztendlich seine Gabe, die richtigen Worte zu finden. Er war anders. Einer, der schrieb. Und auch so sprach.
    Unvergesslich seine Blamage, sein Versagen, seine Hilflosigkeit. Vor dem Elternhaus standen zwei Mädchen, eine davon bildhübsch, groß, schlank und blond, das übergroße Radio unterm Arm, aus dem In The Summertime shuffelte, und sie blickten hoch zu seinem Fenster, hinter dem er sich versteckte, und riefen leise im Chor: »Thomas! Thomas, komm runter!« Mit der Blonden hatte er am Samstag zuvor geknutscht, auch ihre nackten Brüste mit den braunen harten Brustwarzen. Sie hatten sich verabredet. Warum, war klar. Es ging nicht um Liebe, es ging um Sex. Gott, wie peinlich. Zwei hübsche Mädchen, die sich den Nachmittag mit ihm schön vorstellten, mit dem, was er nur zu gerne getan hätte, wäre er mutig genug gewesen. In seiner Phantasie geschah es, oh ja, aber nur dort. Er wartete, bis sie gingen. Sie kamen nie wieder.
    Er war zwei junge Männer.
    Der, den die Mädchen wollten.
    Und der, der zu jung dafür war, aber dies verleugnete, dem es das zweifelhafte Vergnügen bereitete, ein Mädchen mit Worten und zärtlichen Berührungen rumzukriegen, um sich dann davonzustehlen. Er wollte und konnte, doch sein Verstand war noch nicht so weit.
    Später ahnt er, dass er vielleicht immer derjenige bleiben wird, der zwei ist, geprägt in dieser Zeit. Ein Harscher und ein Zärtlicher. Ein Vernünftiger und ein Spontaner. Ein Guter und ein Böser? Ein Tapferer und ein Feigling. Voller Zorn und Liebe gleichermaßen.
     
     
    Manchmal führt Thomas Wille das kratzende Geräusch eines Drehverschlusses zurück zu seinem Freund Martin, der ihm voller Stolz sein Grundig-Tonbandgerät vorführte. Gebraucht gekauft, versteht sich , denn ein neues kann man sich nicht leisten. Die Bänder drehten, eierten und schabten etwas am Gehäuse, und eine Bandlasche machte flappflapp am Gehäuse. Martin lachte darüber, dass der Drehknopf stets abbrach, was bei den meisten Grundigs so war, aber der Klang, oh Mann, der Klang! Und das bei normaler Umdrehungszahl, denn man konnte das Tonband auch schneller laufen lassen.
    Und Thomas lauschte, als er eine dumpfe Stimme vernahm, die über den Regen von Woodstock hinweg eine Band ansagte. And now, Ladys an’ Gentlemen ... Ten Years After ... I’m Going Home! Und der Gitarrist Alvin Lee begann mit einem rasanten Lauf und Thomas war hin und weg. Danach sang ein gewisser Joe Cocker einen Titel von den Beatles und
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