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Die Mission des Zeichners

Die Mission des Zeichners

Titel: Die Mission des Zeichners
Autoren: Robert Goddard
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Spandrel jetzt begriff, ein Trugschluss gewesen, der auf einer zu schmalen Grundlage beruht hatte: nämlich der Gewissheit, dass er selbst nicht mit Aktien der South Sea Company gespielt hatte. Er war einfach zu sehr damit beschäftigt gewesen, seinem Vater bei der mühsamen Erstellung dessen zu helfen, was ihre stolzeste Errungenschaft hätte werden sollen - »eine exakte und vollständige Karte der Stadt London und ihrer Umgebung in der Regierungszeit Seiner Britannischen Majestät König Georg des Ersten« -, um sich mit Börsenspekulationen abzugeben, selbst wenn er das dafür nötige Kapital gehabt hätte. Doch alle anderen, auch die Königin, hatten spekuliert, am Anfang erfolgreich, letztlich mit verheerenden Folgen. All die feinen Herren, die William Spandrel senior versichert hatten, dass sie ihm eine Kopie abkaufen und damit die demnächst mit Blattgold tapezierten Wände ihres Salons schmücken würden, hatten ihm eilfertig die für sein Unterfangen nötigen Mittel versprochen, aber genauso eilig hatten sie sich ihr Geld zurückgeholt, als sich vor ihren eigenen Füßen ein Abgrund aufgetan hatte. Die Karte war mittlerweile der Vollendung verlockend nahe, aber was nützte das jetzt noch? Mit einem Schlag standen sie ohne Kunden und Geldgeber da. Aus Gram darüber war William senior schwer krank geworden. Um seinem Vater zu ersparen, dass man ihn ins Gefängnis warf, was er in seinem Zustand nicht überlebt hätte, übernahm William junior die Verantwortung für seine Schulden. Prompt holten die Büttel den jungen Mann. Der Ältere starb trotzdem. Spandrels Opfer hatte nichts geholfen.
    Seine Lage war derart verzweifelt, dass seine Mutter ihren sonst so knauserigen Bruder erweichen konnte und tatsächlich die fünf Guineen bekam, die nötig waren, um Spandrel die Freiheit zu erkaufen, in einer eigenen Unterkunft zu leben. Zwar war er nach wie vor den Gefängnisregeln unterworfen, durfte aber immerhin dessen Mauern hinter sich lassen. So beschränkt diese Freiheit auch war, so war sie doch dem Grauen im Fleet bei weitem vorzuziehen. Aber in dem Maße, in dem die Erinnerung an die Schrecken dort verblasste, traten neue an ihre Stelle. Würde er je wieder wirklich frei sein? Sollte er die Blüte seines Lebens wie eine Fliege in einem Glas verbringen? Gab es denn gar keinen Ausweg?
    Nun, an diesem trüben Januarmorgen schien sich jedenfalls keiner abzuzeichnen. In der Ecke stand, halb verdeckt von der zum Trocknen vor dem Kamin aufgehängten Wäsche, einer der Wegemesser, die er und sein Vater durch die Straßen von London geschoben hatten, um mit seiner Hilfe mit geradezu besessener Genauigkeit Entfernungen zu berechnen. Inzwischen war sein Rad von Rost überzogen. Alles verfiel, selbst die Hoffnung. Die Bögen mit ihren fertig gestellten Zeichnungen lagen beim Drucker und würden dort wahrscheinlich auch bleiben, da der Bursche für seine bisherige Arbeit noch keinen Penny erhalten hatte. Und solange Spandrel im Cat and Dog Yard eingesperrt blieb, wie es die Regeln des Fleet Prison verlangten, würde es keine weiteren Bögen geben, so viel stand fest.
    Land zu vermessen war das Einzige, was er konnte. Er war immer nur der treue Lehrling seines Vaters gewesen. In dieser Zeit brauchte jedoch niemand einen Landvermesser. Der Gedanke an all das, was er verloren hatte, war schier unerträglich. Letzten Sommer hatte er Hoffnungen auf eine Hochzeit mit der schönen Maria Chesney gehegt. Und die Erarbeitung der Karte hatte sich so angelassen, als wäre sie die beste Idee, die sein Vater in seinem ganzen Leben gehabt hatte. Jetzt war ihm nichts mehr geblieben. Maria hatte er verloren. Sein Vater war tot. Seine Mutter war Wäscherin geworden, und aus ihm ein Wäscherinnenhelfer.
    An der Tür hörte er ein Geräusch und drehte sich um. Das musste seine Mutter sein, auch wenn ihn wunderte, dass sie schon so schnell zurückkam. Zu seinem Erstaunen war es jedoch jemand anderes.
    Ein hagerer Mann mit dunklen Kleidern und grau-schwarzer Perücke stand in der Tür. Wegen des niedrigen Rahmens musste er sich leicht bücken. Zusammen mit seiner knochigen Hakennase verliehen ihm seine stets hin und her schießenden, tief liegenden Augen das Aussehen eines fremdartigen Raubvogels auf der Suche nach Aas. Und vielleicht, kam es Spandrel in den Sinn, glaubte er, jetzt eines gefunden zu haben.
    »William Spandrel«, sagte der Mann. Es war keine Frage, sondern hörte sich vielmehr an wie eine Feststellung, die jedes Leugnen im Ansatz
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