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Die Mission des Zeichners

Die Mission des Zeichners

Titel: Die Mission des Zeichners
Autoren: Robert Goddard
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ein Geschenk des Prince of Wales; vor acht Jahren hatte ihm der Prinz den Ring bei der Geburtstagsfeier des Königs im Saint James's Palace überreicht. Das war noch zu einer Zeit gewesen, als Reichtümer vom klaren Frühlingshimmel zu regnen schienen und niemand daran zweifelte - ganz einfach weil es niemand wagte -, dass Anteile an der South Sea Company in Höhe von einem Pfund morgen zehn und übermorgen hundert Pfund wert sein würden. Seine eigene Einzahlung musste sich damals auf eine Million belaufen haben. Eine Million Pfund und eine Milliarde Illusionen. Jetzt war nichts mehr davon übrig, nichts als Asche in seinem Mund.
    Jemand klopfte an die Tür. Gleich darauf trat Nicodemus Jupe ein, Sir Theodores Diener und treues Faktotum. Jupe, ein hagerer Bursche von etwa vierzig Jahren mit markanter
    Adlernase und ernstem Gesicht, hatte das Gebaren eines Mannes, der seine Bedeutung in der Welt nie überschätzte, sie aber auch zu keinem Zeitpunkt unterschätzte. Er war bescheiden, ohne unterwürfig zu sein, scharfsinnig, jedoch nie anmaßend. Er war stets völlig verlässlich gewesen, aber im gleichen Maße war der kalte Wesenszug, dem er seine Tüchtigkeit verdankte, der Schlüssel zu dem Einverständnis zwischen ihm und seinem Herrn. Er nahm an, dass Sir Theodore sich der Schwierigkeiten, die sie beide ereilt hatten, entledigen würde. Ja, er erwartete es sogar von ihm. Und er selbst würde alles tun, um das herbeizuführen. Das beinhaltete das Ausmaß seiner Treue. Sie reichte weit, aber nicht bis zum Ende der Welt.
    »Auf dem Pult liegt ein Brief«, erklärte Sir Theodore. »Er muss noch heute Nacht befördert werden.«
    Jupe nahm den Umschlag an sich und warf einen Blick auf die Adresse. Sein Gesicht verriet keine Reaktion.
    »Es tut mir Leid, dass ich Sie bitten muss, das Haus zu so später Stunde noch zu verlassen. Aber es ist eine Angelegenheit von äußerster Dringlichkeit.«
    »Ich verstehe, Sir. Ich mache mich sofort auf den Weg.«
    »Noch etwas anderes, bevor Sie gehen.«
    »Ja, Sir?«
    »Der mittellose Kartenzeichner... Spandrel. Wir haben ihn fest im Visier?«
    »Allerdings, Sir. Ich bezweifle nicht, dass er versuchen wird, sich zu entziehen. Und dann kriegen wir ihn. Aber fürs Erste...«
    »Hält er sich an die Regeln.«
    »Ja.«
    »Ich möchte ihn sehen.«
    Jupes Augen weiteten sich ein wenig vor Überraschung. »Und ist das auch... eine Angelegenheit von äußerster Dringlichkeit?«
    »Das ist es, Jupe. Ja.«

2 Der nutzlose Wegemesser
    Die Morgendämmerung kroch langsam und widerwillig in das schlecht beleuchtete Zimmer, das William Spandrel mit seiner Mutter unter den Dachsparren einer Pension im Cat and Dog Yard teilte. Ihre Ankunft war Spandrel nicht willkommen. Das graue, vom Staub gefilterte Licht legte die Risse im Putz und den Zerfall des Backsteins darunter nur umso deutlicher bloß. Während er beim Rasieren mit einer stumpfen Klinge und minderwertiger Seife sein durch eine Spiegelscherbe fragmentiertes Gesicht begutachtete, fiel ihm auf, wie hohlwangig er geworden war, und er bemerkte die tiefen dunklen Schatten unter den Augen und den verhärmten Ausdruck des Scheiterns, der sich dahinter zu verbergen suchte. Wer würde sich schon über die Morgendämmerung freuen, wenn doch die Dunkelheit wenigstens eine Art von Zuflucht bot.
    Er hatte den Spiegel an den Rahmen des nach Süden gehenden Fensters in seinem Mansardenzimmer genagelt, weil ihm so zumindest genügend Licht gewiss wäre, um sich die Kehle aufzuschlitzen, sollte er eines Tages dazu gezwungen sein. Dass dieser Fall irgendwann eintreten würde, erschien ihm in Anbetracht seiner düsteren Lage durchaus möglich. Wenn er einen Blick zum Fenster hinaus wagte, konnte er hinter dem durchhängenden Firstbalken der Punch Bowl Tavern die mit Pfählen bewehrte Mauer des Fleet Prison sehen, jenes Gefängnisses, in dem er im vergangenen Herbst zehn Tage lang als ein von niemandem beachtetes Opfer der plötzlichen Verschärfung der Kreditrahmen in einem wahren Fegefeuer geschmort hatte. Nach dem Ende des South Sea Bubble war das gewesen, als die Betrügereien dieser Handelsgesellschaft aufgeflogen und mit ihnen unzählige süße Träume von Reichtum jäh geplatzt waren. Sein eigener Traum war genau genommen nicht davon berührt gewesen, aber Handelskatastrophen eines solchen Ausmaßes ziehen weite Kreise und reißen auch diejenigen mit in die Tiefe, die sich dagegen gefeit wähnen.
    Sein Glaube an die eigene Unverletzbarkeit war, wie
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