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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst
Autoren: Guido Dieckmann
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Böses ausgehen konnte.
    Und doch spürte er, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat.
    «Alte Frau», rief Lutz da auch schon. Er klang nicht begeistert, dennoch klatschte er in die Hände.
    Ein altes Weib war es nicht, das sich mit Hilfe des Mädchens mühsam aufrichtete, auch wenn ihr verzerrtes Gesicht und die wächsern wirkende Haut diesen Schluss zunächst zulassen mochten. Sie und die Kleine schienen miteinander verwandt zu sein, denn die Frau besaß das gleiche dunkle Haar. Anders als das Mädchen, das einen recht munteren Eindruck machte, war die Frau krank. Schwer krank.
    Ihr Gesicht war bleich, die Wangen glühten vor Fieber, und ihre Augenlider zuckten bei der kleinsten Bewegung. Auf ihrem Kittel waren Spuren getrockneten Bluts und Asche auszumachen. Es sah aus, als wäre sie unlängst durch ein Feuer geschritten.
    Die Kranke schien kaum bei Bewusstsein zu sein. Erst als das Mädchen ihr etwas ins Ohr flüsterte, schlug sie plötzlich die Augen auf und blinzelte.
    «Wer ist da?», brachte sie erschöpft hervor.
    «Du brauchst keine Angst zu haben», antwortete Hahn. «Ich bin Hutmacher, auf dem Heimweg von Heidelberg. Aber vielleicht solltest du meiner Frau und mir erst einmal erklären, wer du bist und warum man dich mitten in der Nacht hier draußen ablegt wie eine …»
    «Vermutlich, weil sie eben eine solche ist», fiel Agatha ihrem Mann brüsk ins Wort. Mit grimmiger Miene lief sie auf die fiebernde Frau zu, stieß das kleine Mädchen unsanft zur Seite und begann sich am Kleid der Fiebernden zu schaffen zu machen. Dabei kümmerte sie sich weder um deren schwache Gegenwehr noch um das Geschrei des Mädchens.
    «Was … machst du da?»
    Erschüttert verfolgte Hahn, wie Agatha den Stoff über das Schulterblatt der Frau zog und einen rötlichen Fleck entblößte. Der erwies sich als entzündetes Brandmal, in dem Hahn voller Entsetzen die Konturen einer höhnisch grinsenden Teufelsfratze zu erkennen glaubte. Die Wunde sonderte einen ekelhaften Geruch ab; Spuren gelblichen Eiters verteilten sich auf der Haut. Während Hahn und Agatha das Mal anstarrten, zuckte die junge Frau zusammen und wandte schamhaft ihr Gesicht ab. Ihre Lippen zitterten.
    Daran wird sie sich gewöhnen müssen, dachte Hahn bekümmert. Für den Rest ihres Lebens. Mit Gebrandmarkten ging niemand freundlich oder mitleidsvoll um. Wollte ein Gezeichneter seine Schande verbergen, musste er es geschickt anstellen. Doch im Grunde befand er sich auf der Flucht, solange er lebte. Wohin er auch kam, wies man ihm die Tür oder bewarf ihn mit Steinen und faulem Obst. Den Kindern erging es kaum besser.
    «Das Weib ist die Ehebrecherin, die heute in der Stadt gerichtet wurde», verkündete Agatha triumphierend. «Darauf hätten wir eigentlich gleich kommen können. Man hat sie nach der Vollstreckung des Urteils mit Ruten aus der Stadt gejagt und hier draußen zwischen all dem stinkenden Unrat abgelegt. Abfall zu Abfall, wie es sich gehört!»
    Hahn warf seiner Frau einen mahnenden Blick zu, sich in Gegenwart des Kindes zusammenzunehmen. Aber die Kleine schien ohnehin nicht verstanden zu haben, was Agatha erregte. Stumm saß sie neben der Gebrandmarkten und strich ihr sanft die schweißnassen Haare aus der Stirn.
    «Ich kann sie wieder gesund machen», flüsterte sie unvermittelt. Ein zartes Lächeln glitt über ihr hübsches Gesicht, während sie den Hutmacher aus ihren dunklen Augen erwartungsvoll ansah. «Ich kann sie gesund machen, genau wie mein Kaninchen.»
    Hahn ergriff die Hand des Mädchens. Sie fühlte sich warm an. «Wie ist dein Name?», fragte er. Offensichtlich fieberte das Kind und wusste nicht, was es redete. «Sag mir doch, wie du heißt!»
    Das Mädchen sah ihn an. «Ich heiße Henrika Gutmeister, mein Herr.»
    Ihre Ausdrucksweise überraschte den Hutmacher. Wer auch immer diese Leute sein mochten, sie waren wohlerzogen.
    «Und die Frau mit dem roten Mal auf der Schulter», hakte Hahn nach. «Ist das deine Mutter?»
    «Ich kann sie wieder gesund machen.»
    Agatha, die ihren Mann zunächst hatte gewähren lassen, stieß nun einen Laut der Empörung aus. «Was bezweckst du mit all diesen Fragen?», rief sie. «Merkst du nicht, dass dich der Teufelsbraten zum Narren hält?» Sie machte einen Schritt auf das Kind zu und drohte ihm mit dem Zeigefinger. «Lasterhafte Reden kosten dich die Gunst des Herrn. Nur Gott kann Menschen gesund machen. In seiner Weisheit heilt er diejenigen, die ein braves Leben führen und die, mit denen er noch
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