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Die Mars-Verschwörung

Die Mars-Verschwörung

Titel: Die Mars-Verschwörung
Autoren: David Macinnis Gill
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Finde das Armalite. Hebe mit zitternder Hand den Lauf und ziehe den Abzug durch.
    Stains Mund wird größer. Er stößt einen Schrei aus, als seine Hände von Viennes Arm abrutschen. Das abrupte Verschwinden der Last schleudert Vienne und mich zurück in den Raum.
    Draußen ist nichts mehr, nur ein Plätschern.
    »Irgendwann einmal bin ich aus diesem Fenster gesprungen«, murmelt Vienne.
    »Ja«, sage ich, als ich wieder zu Atem komme. »Das bist du.«
    »Vor langer Zeit. Bevor der böse Mann gekommen ist. Als ich noch jemand anders war.«
    Ich schüttle den Kopf. »Der böse Mann ist weg. Du musst dir seinetwegen keine Sorgen machen.«
    »Habe ich Stain getötet?«, fragt sie wie ein Kind, das versucht, ein Puzzle zusammenzusetzen.
    »Nein. Das war seine eigene Schuld.«
    »Ich habe das kleine Mädchen getötet«, sagt sie mit erstickter Stimme, und eine Träne rinnt über ihre Wange.
    Was soll ich dazu sagen? Ich nehme ihre Hand. Sie fühlt sich kalt an. Die Fingernägel sind abgebrochen, die Knöchel wund.
    »Aber da war ich jemand anders.« Sie sieht mich an, und ihre blauen Augen sind rosa umwölkt. »Werde ich jemals wieder ich selbst sein?«
    »Du bist immer noch Vienne. Du hast nie aufgehört, Vienne zu sein.«
    »Ich bin müde«, sagt sie. »Ich möchte ... ich möchte nach Hause.«
    Sie zittert und schlingt die dünnen Arme um den Oberkörper. Mir wird schwer ums Herz beim Anblick ihres versengten Halses, der schmutzigen Haut und des geschwollenen Gesichts. Sie sieht höllisch aus, und sie ist durch die Hölle gegangen. Doch ich kann nichts anderes tun als sie an mich drücken.
    Ihre Arme fallen kraftlos herab, und in ihren Augen sehe ich nichts mehr, gar nichts   – keinen Zorn, keine Furcht, nur Tabula rasa.
    »Komm, Vienne.« Sanft führe ich sie am Arm. »Jetzt bist du bei mir.«
    »Oh, Cowboy«, sagt Mimi. »Was hat sie nur durchgemacht.«
    »Sie kommt wieder in Ordnung«, sage ich zu ihr und auch zu mir und hoffe, dass es wahr ist. »Die Mönche wissen bestimmt, was zu tun ist.«
    Vorsichtig führe ich Vienne zurück zur Feuertreppe. Wir steigen die Stufen hinauf zu der Leiter, die aufs Dach führt. Ich schiebe den Riegel zurück, öffne die Klappe und ziehe sie hinauf.
    Der Regen hat aufgehört, und ein leichter Wind zupft an ihrem Haar.
    Im rosa Schimmer der Morgendämmerung sehe ich weiter nichts als den Fluss. Häuser, Lastwagen, Dächer, Schutt, die Einzelteile einer zerschmetterten Stadt hüpfen auf den Wogen. In der Nähe der Sieben Brücken bildet der Strom einen Wirbel aus weißem Schaum, und der Himmel ist verhangen von zähem, ätzendem Rauch. Es ist windstill, und die Stadt ist seltsam ruhig. Wir sitzen auf dem Dach fest und haben keine Möglichkeit, von hier wegzukommen.
    Hier also endet alles.
    »Nein«, sagt Mimi. »Sei nicht so ein Melodramatiker.«
    »Das Wort gibt es gar nicht.«
    »Cowboy, ich meine es ernst«, sagt sie. »Schau mal nach oben.«
    Tychons Aerofoil treibt über uns vorbei und geht dann in den Sinkflug.
    Ich recke den Daumen hoch.
    »Sucht ihr eine Mitfluggelegenheit?«, ruft er über Lautsprecher.
    Ich zeige ihm beide erhobenen Daumen.
    Er kreist über uns. Die Luke öffnet sich, und eine Tasche fällt auf die andere Seite des Dachs. Ich laufe hinüber, um sie zu holen. In der Tasche finde ich ein Kohlefaserseil, ein Geschirr und einen selbstaufblasenden Ballon.
    »Sieht nach einem Fulton-Rettungssystem-Bausatz aus«, sagt Mimi.
    »Das liegt daran, dass es einer ist.«
    Ich schnalle mir das Geschirr um, klemme das Seil an das Geschirr und den Ballon und warte, bis der Ballon sich aufgeblasen hat. Er erhebt sich in die Luft, als Tychon gerade einen weiten Bogen mit seinem Aerofoil fliegt. Als er sich wieder in hohem Tempo dem Dach nähert, drücke ich Vienne fest an meine Brust.
    »Festhalten, Soldat. Wir machen einen Ausflug.«
    Über uns packen die beiden Hörner des Aerofoils das Seil, und wir werden mit einem Ruck, schlimmer als ein Tritt in den Hintern, vom Dach gerissen und schweben hoch über Christchurch dahin. Die Stadt unter uns ist eine schwelende Ruine, aber über uns ist nur die Sonne.

Kapitel 30
    Tengu-Kloster, Noctis Labyrinthus
    Präfektur Zealand
    Annos Martis 238. 7. 29. 22:22
    Der Aerofoil fliegt in geringer Höhe über den Torbogen vor dem Tengu-Kloster und landet auf der Straße westlich des Tores. Ich klettere aus dem Frachtraum.
    »Danke für den Flug«, sage ich zu Tychon.
    »Jederzeit gern.« Er hebt Vienne vom Boden des Frachtraums und legt
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