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Die Mappe meines Urgrossvaters

Die Mappe meines Urgrossvaters

Titel: Die Mappe meines Urgrossvaters
Autoren: Adalbert Stifter
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Aber eines Tages, da eben ein grauer sanfter Landregen die Berge und Wälder verhing, verschaffte mir das Haus etwas, das ich nicht suchte, und das mich sehr freute, weil es mir gleichsam das ganze versunkene aufgehobene Märchen darin gab.
    Mütterlein, Gattin und Schwester saßen im Hofstübchen, und verplauderten die Zeit, weil draußen Straße und Garten in Wasser schwammen; ich, gleichsam aus einem alten Zuge der Kindheit, der gerne das sanfte Pochen des Regens auf Schindeldächern hörte, war fast bis auf den äußersten Boden emporgestiegen und gerieth auch in den Gang zwischen Schüttboden und Dach. Da stand noch die goldglänzende heilige Margaretha auf demselben Platze, auf dem sie vor so vielen Jahren gestanden war. Eine Menge weggeworfener Sachen lag, wie einst, um sie herum. Jetzt fürchtete ich den düsteren Goldschein nicht mehr, sondern ich holte die Gestalt hervor, um sie zu betrachten. Es war ein sehr altes gut vergoldetes hölzernes Standbild, halb lebensgroß, aber in dem Laufe der Zeiten war es bereits vielfach abgerieben und zerschleift worden. Ich dachte mir, daß es etwa von einer eingegangenen Feldkapelle unserer Besitzungen herrühre, aus Zufall in den Gang gekommen, und hier vergessen worden sei. Aber fast sollte man glauben, daß es keinen Zufall gäbe. - Daß das Bildniß hier stand, daß es heute regnete, daß ich herauf stieg und es wegnahm - das sind lauter Glieder derselben Kette, damit das werde, was da ward. Als ich nemlich die Bildsäule wieder auf ihr Untergestelle setzen wollte, hörte ich, daß dieses keinen Ton gab, wie ein Block, sondern wie ein hohler Raum; ich untersuchte es näher, und fand in der That, daß es eine sehr alte verschlossene Truhe sei. Ich war neugierig, holte mir in der Wohnung unten Brechwerkzeuge, stieg wieder in den Gang hinauf, befreiete zuerst den Deckel von dem zollhohen Staube, der darauf lag, sprengte mit dem Eisen seine Bande, und öffnete ihn. Was sich mir nun zeigte, war ein Knäuel von Papieren, Schriften, Päckchen, Rollen, unterschiedlichen Handgeräthen, Bindzeugen und anderem Gewirr - aber weit hinaus herrschten die Papiere vor. Es gibt in jedem Hause Dinge, die man nicht weg wirft, weil doch ein Theil unseres Herzens daran hängt, die man aber gewöhnlich in Fächer legt, auf welche dann nie mehr ein Auge fällt. Daß es hier so sei, begriff ich augenblicklich, und sogleich im Gange sitzen bleibend, neben mir den schwachen Goldschimmer der Bildsäule, ober mir das leichte Trippeln des Regens, fing ich die Untersuchung an, und nach einer Stunde saß ich schon bis auf die Knie in Papieren.
    Welch' seltsame sonderbare Dinge! Da waren ganz unnütze Blätter, dann andere, auf denen nur ein paar Worte standen, oder ein Spruch - andere mit ausgestochenen Herzen und gemalten Flammen - meine eigenen Schönschreibbücher, ein papierner Handspiegel, von dem aber gerade das Spiegelglas herausgebrochen war - Rechnungen, Recepte, ein vergelbter Prozeß über eine Hutweide - dann unzählige Blätter mit längst verklungenen Liedern, Briefe mit längst ausgebrannter Liebe, nur die schön gemalten Schäfer standen noch am Rande und stellten sich dar - dann waren Schnitte für Kleider, die jetzt niemand mehr trägt, Rollen Packpapiers, in das nichts mehr gewickelt wird - auch unsere Kinderschulbücher waren da aufbewahrt, und das Innere der Deckel trug noch die Namen von uns allen Geschwistern; denn eines hatte sie von dem andern geerbt, und gleichsam als sei es das letzte und ewige, hatte es den Namen des Vorgängers mit fester Linie ausgestrichen, und den seinigen mit der großen Kinderschrift darunter gesetzt. Daneben standen die Jahreszahlen mit gelber, schwarzer und wieder gelber Dinte.
    Als ich so diese Bücher heraus legte, und der Blätter, auf denen viel hundertmal die Kinderhände geruht haben mochten, sorgsam schonte, daß sie mir nicht auseinander fielen, kam ich auch auf ein anderes Buch, das diesen gar nicht glich, und von jemanden ganz andern herrühren mußte, als von einem Kinde. Durch Zufall lag es hier unter den Büchern der Kinder, aber es war von einem Greise, der längstens gelebt hatte, und der längstens schon in die Ewigkeit gegangen war. Das Buch bestand aus Pergament, hatte die Höhe von vier an einander gelegten Schulbüchern, und war eigentlich aus lauter ungebundenen Heften zusammen gelegt. Ich schlug sie auf, aber nichts war da, als die Seitenzahlen, mit starken Ziffern und rother Dinte hingemerkt, das übrige war weißes
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