Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mappe meines Urgrossvaters

Die Mappe meines Urgrossvaters

Titel: Die Mappe meines Urgrossvaters
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
heran gewachsen war, starb der Vater, und ich mußte bald darauf in die Abtei in die Studien. Später kam ein Stiefvater und eine neue Regierung in das Haus. Es wurden neue schöne Geräthe gemacht, und alle die alten Dinge, die früher da gewesen waren, mußten in die braungebeizte Hinterstube zurück, die gegen den Garten lag und unbewohnt war. Dort blieben sie in Raschheit hingestellt und in Verworrenheit stehen. Auch in mein Haupt waren nach und nach andere Gedanken und andere Bestrebungen gekommen. Aber einmal in den großen Herbstferien besuchte ich die alten Sachen wieder. Mir kam bei, daß ich sie ordnen könnte. Ich that es, richtete die braune Stube mit ihnen ein, und stand dabei, wie der sanfte schwermüthige Herbstglanz der Sonne so an ihnen hin streichelte und sie beleuchtete. Allein ich mußte wieder in die Abtei, und wie die Zeit der dort festgesetzten Studien vergangen war, kam ich gar in die große ferne Stadt.
    Nun erschienen harte Jahre, die Bestrebungen des Mannes kamen, und verdeckten wie mit Nebel das fernabliegende Land der Kindheit. Viele Dinge wurden erstrebt und gelitten, und da endlich die Zeit eingetreten war, in der der Mensch die Sehnsucht hat, den sachte vergehenden Lebensstrom in holden Kindern wieder aufquellen zu sehen, mochte es ein liebes Weib mit meinem Herzen wagen, und wir traten vor den Altar der Ehe. Dieses Ereigniß führte mich wieder in mein Kindheitsland zurück. Da nemlich Mütterlein zu Hause sehr betrübt war, daß sie wegen Kränklichkeit nicht kommen konnte, die Brautkrone flechten zu helfen, und den heiligen Kirchengang zu sehen, beschlossen wir, um ihr Ersatz zu geben, die ersten Tage unseres neuen Standes in der Heimat zuzubringen. Wir packten auf, Wälder, Berge gingen an uns vorüber, und eines schönen Sommertages kamen wir in dem längst verlassenen Hause an.
    Mütterlein war ein altes Weib geworden, die neuen schönen Geräthe, die zu meiner Studienzeit gekommen waren, waren jetzt auch alt und verschossen; keine Großeltern gingen mehr im Hause herum, aber dafür spielten die kleinen Kinder der Schwester, die selbst ein Kind gewesen, da ich fort ging, an der Stelle, wo wir einst gespielt hatten - nur die Liebe und Güte ist jung geblieben. Mit dem gewohnten Sonnenscheine der Freundlichkeit in den verfallenen Zügen, mit den gewohnten guten Augen nahm die Mutter jetzt die junge blühende Tochter an, verehrte sie und that ihr Gutes. Es kamen Tage, die einzig unvergeßlich sind, Tage unter Menschen desselben Herzens, und derselben unverfälschten Liebe. Ich führte meine Gattin durch alle Wälder meiner Kindheit, ich führte sie an rauschende Bäche und an ragende Klippen, aber ich führte sie auch durch die schönen Wiesen, und durch die wogenden Felder. Hier ging Mütterlein mit, und zeigte der fremden Tochter, was von all den Dingen unser sei, und was eben darauf wachse.
    Alles war so herrlich und prangend, wie sonst, ja es war noch prachtvoller und ernster, als ich es einst begreifen konnte. Nur das Haus war kleiner geworden, die Fenster niedriger und die Stuben gedrückt. Alles, was sonst unendlich war, die dunklen Gänge, die gähnenden Winkel, das war nun klar, und was darinnen lag, war Wust. In der braunen Stube standen die alten Dinge in der Ordnung, wie ich sie einstens hingestellt hatte, oder eigentlich, sie hingen kaum mehr an den Wänden herum. Das einzige Schreibgerüste stand noch dicht und fest mit allen seinen Zierrathengeländern und Fröschen da, ein wahres Kunstwerk in uralter Eichenschnitzerei. Die Mutter gab es mir auf meine Bitte gerne zum Hochzeitsgeschenke. All das Andere aber waren gewöhnliche Trümmer und Reste; die Fugen klafften, das Licht schien durch sie, der Holzwurm hatte die Balken angebohrt und der Staub rieselte heimlich in seine Gänge. Als ich weiter durch das Haus wandelte, war hier eine Holztreppe weggenommen, dort eine andere aufgestellt - ein Geländer war hier herabgebrochen, dort eines befestiget worden - das Brunnenwasser rann in eine neue Kufe, die Gartenbeete waren in einer anderen Richtung, verschiedene Dinge standen darauf, und der graue Baum war gar nicht mehr da - in der Holzlaube war manches anders, aber hinten standen genau noch die alten Stangen und staken die alten Strohbünde: aber ein schwermüthig klares Licht der Gegenwart lag auf allen Dingen, und sie blickten mich an, als hätten sie die Jahre meiner Kindheit vergessen. - So verging Woche um Woche in den neuen erst wieder bekannt werdenden Räumen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher