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Die Maetresse des Kaisers

Die Maetresse des Kaisers

Titel: Die Maetresse des Kaisers
Autoren: Susanne Stein
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ungehorsamen Schwestern, die ohne Habe und Schutz die Burgen verlassen mussten, weil sie dem männlichen Oberhaupt der Familie im Weg waren. Bestenfalls fanden sie Zuflucht in einem nahen Kloster, schlimmstenfalls fielen sie in die Hände marodierender Söldner, und was dann mit ihnen geschah, wagte sich Bianca nicht auszumalen. Sie hatte von einem Grafen gehört, der seine Frau wie ein Tier in einem Käfig hielt. Es hieß, sie habe längst den Verstand und die Sprache verloren. Bianca schauderte, wurde aber von Manfreds Stimme abrupt aus ihren Gedanken gerissen.
    »Antworte mir«, befahl Manfred mit leiser, vor Wut zitternder Stimme. »Welche Narrheiten begehst du hinter meinem Rücken?«
    Bianca wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und versuchte beherrscht zu sprechen. »Keine, mein Bruder. Es gibt keine Geheimnisse, die ich vor dir habe. Die Gedichte, von denen ich sprach, sind die Bücher unseres Großvaters, des berühmten Troubadours Manfred.«
    »Höchste Zeit, dass du Enzios Frau wirst. Er wird dir die Flausen austreiben. Und was die Bücher dieses alten Narren angeht, so befehle ich dir, sie zu verbrennen. Dieser Mann ist die Quelle unseres Elends. Für seine Torheiten hat er das Land der Lancias verkauft.«
    Bianca erschrak vor der Härte ihres Bruders. Sie hatte nicht gewusst, wie sehr Manfred unter dem Ruin der Familie litt. Nein, das sah sie jetzt, niemals würde er ihr die Heirat mit Enzio Pucci, Herr über riesige Ländereien und gefüllte Goldtruhen, ersparen.
    »Der Graf von Tuszien kommt heute zum Festbankett. Ich erwarte, dass deine Schönheit ihn für dich einnimmt. Sei klug und füge dich.«
    Sie sah nicht auf, als Manfred mit raschen Schritten an ihr vorbeiging und ohne ein weiteres Wort den Raum verließ.
    Bianca trat an ein Fenster und entdeckte weit hinten am Horizont die Gipfel der Berge, von denen einige selbst im Sommer noch eisige Schneehauben trugen. Doch für die Schönheit der Landschaft mit ihren dichten Wäldern und klaren Flussläufen hatte sie keinen Blick. Selbst den makellos blauen Himmel beachtete sie nicht. Ihre Augen folgten dem Flug eines der Jagdfalken, die von Lorenzo, Giovannas Neffen, betreut und ausgebildet wurden.
    »Wie ich dich beneide«, flüsterte Bianca. »Hätte ich nur ein kleines Stück von deiner Freiheit, wie unendlich viel würde ich gewinnen.«
    Lange Zeit lehnte sie an der kahlen Wand und starrte auf den eleganten Vogel, der majestätisch seine Kreise zog. Als sie sich abwandte, hatte sie einen Entschluss gefasst. Es musste einen Ausweg geben, sie würde sich nicht wie eine Kuh verkaufen lassen.

D er Mann stand auf dem flachen Dach eines prachtvollen weißen Palazzos und ließ seinen Blick langsam über den Hafen wandern. Das herrliche Mosaik zu seinen Füßen, das noch aus der Zeit der Römer stammte, beachtete er nicht, und auch das schneeweiße Geländer mit wundervollen Arabesken übersah er. Der Mann blickte gebannt geradeaus, blinzelte ein wenig und konzentrierte sich. Es war ein heißer Tag, die Sonne glühte hoch am Himmel und schickte ihr gleißendes Licht in die engen Straßen der Stadt.
    In der Hitze des Tages verbrannte die Haut, wenn man sie nicht mit kühlen Leinengewändern bedeckte. Die bleichen Ritter aus dem Norden verfluchten die Sonne und dankten dem Himmel, wenn sie ihre schweren Kettenhemden, die sie vor den scharfen Schwertern der Sarazenen schützen sollten, im Zeltlager lassen konnten.
    Der Mann auf dem Dach spürte die Hitze kaum. Seine Haut war von Geburt stark gebräunt, und im Gegensatz zu den blonden Männern aus dem Deutschen Reich hatte er die Wüsten Palästinas längst kennengelernt. Er war an Temperaturen, die das Hirn auszudörren schienen, ebenso gewöhnt wie an bitterste Kälte.
    Er trug einen dunklen bodenlangen Umhang und einen schwarzen Turban, der sein Haar vollständig verdeckte, dafür das Gesicht umso stärker betonte. Ein Gesicht, das Männer beeindruckte und Frauen zu süßen, aber verbotenen Träumen verleitete.
    Die Nase erinnerte an den Schnabel eines Falken, die geschwungenen Lippen dagegen wirkten weich und sinnlich. Das Faszinierendste aber waren seine Augen – von einem so tiefen Braun, dass sie schwarz schienen, und so intensiv, dass die meisten Menschen ihren Blick schnell abwandten und sich in aller Eile bekreuzigten.
    Sein Name war Karim an-Nasir, und er war ein Nachkomme von Saladin, dem größten Sultan des Morgenlandes.
    Bewegungslos verharrte er in der Glut des Nachmittags und nahm sich
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