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Die Macht der Steine

Die Macht der Steine

Titel: Die Macht der Steine
Autoren: Greg Bear
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Arat-Gebirges rekonfiguriert. Sie glitzerte in der Sonne, so schön wie nur irgend etwas, das der Menschheit jemals versagt worden war. Die Mauern glühten in der einsetzenden Dämmerung, und die abendliche Stille der Luft wurde vom Summen der Betriebsgeräusche der Stadt durchdrungen. Jeshua schlief in einer Bodenrinne im Gelände, wobei er sich unter einer Decke aus geflochtenem Schilf verbarg.
    Im weichen gelben Licht der Dämmerung unterzog er die Stadt einer gründlicheren Observation und hob zu diesem Zweck den Kopf über den lehmigen Rand der Rinne. Die Stadtgrenze bestand aus einem Ring runder, nach außen geneigter Türme, wie die Blütenblätter einer Lotusblume. Innen schlossen sich ein zweiter, etwas höherer Ring an, und ein dritter, der sich in die Höhe schwang und von strahlenden Stützstreben gekrönt wurde. Diese Stützstreben trugen eine mit Säulen besetzte Plattform, die segmentiert und verwarzt wie die Fäden eines Einzellers waren. Im Scheitelpunkt der Stadt wurde eine Kuppel, die an das vergrößerte Facettenauge einer Fliege erinnerte, von einer Corona aus Spektralfarben eingehüllt. Helle Blau- und Grüntöne funkelten auf den Außenmauern.
    Mit Hilfe des begabtesten Architekten, den die Menschheit jemals hervorgebracht hatte, Robert Kahn, hatten Jeshuas Vorfahren die Städte erbaut und so behaglich wie möglich eingerichtet. Große Laboratorien hatten sich jahrzehntelang damit beschäftigt, die richtigen Kombinationen aus Flora, Fauna und Maschinen zu ermitteln und sie in den entsprechenden Konstruktionen zu integrieren. Es war ein stolzer Tag gewesen, als man die ersten Städte eröffnet hatte. Die Christen, Juden und Moslems von Gott-der- Schlachtenlenker konnten sich Städten rühmen, die spektakulärer waren als alles, was Kahn andernorts errichtet hatte, und die Werke des Meisters waren auf hundert Welten zu finden.
    Jeshua blieb hundert Yards vor den glasierten Stufen unterhalb der äußeren Blütenblätter der Stadt stehen. Breite, spitze Stacheln sprossen aus dem Boden und den glatten Gartenwänden. Die Pflanzen im Garten schrumpften zusammen. Der gesamte, die Stadt umgebende Boden zersplitterte zu einem starrenden Wall aus Silikatdornen. Es gab keine Möglichkeit, in die Stadt hineinzugelangen. Dennoch ging er näher auf sie zu.
    Dann stand er vor dem Dickicht aus spitzen Stacheln, streckte eine Hand aus und berührte einen Stachel. Er erzitterte unter seiner Berührung.
    »Ich habe nicht gesündigt«, erklärte er. »Ich habe niemanden verletzt, und ich habe nur das begehrt, was mir von Rechts wegen zustand.« Die dicht gepackten Stacheln äußerten sich nicht zu diesen Einlassungen, wurden aber zusehends größer.
    Er setzte sich auf einen mit Gras bewachsenen Hügel vor der Stadt und preßte die Hände auf den Bauch, um den Hunger und die Niedergeschlagenheit zu lindern. Er schaute zum Scheitelpunkt der Stadt hinauf. Ein schmaler, silbriger Turm erhob sich inmitten der Säulen und lief in einer aus Facetten bestehenden Sphäre aus. Die sonnenbeschienene Seite der Sphäre bildete eine strahlend gelbe Sichel. Ein kalter Wind fuhr durch seine Kleidung und ließ ihn schaudern. Er stand auf und begab sich auf eine Wanderung um die Stadt, wobei er das Tempo beschleunigte, als der Wind die Stimmen der Menschen aus der Expolis zu ihm herübertrug.
    Jeshua erinnerte sich an die ausgiebigen Streifzüge seiner Jugend, daß es zwei Meilen weiter westlich einen großen Zugang zu Sheol gab. Um zwölf Uhr mittags stand er in dem höhlenartigen Eingang.
    Die unterirdischen Gänge, aus denen Sheol bestand, hatten einst Versorgungstunnels für die mechanischen Städte dargestellt, die vor zwölf Jahrhunderten allesamt geschliffen worden waren. Die unterirdischen Tunnelsysteme waren jedoch nahezu unverwüstlich, so daß man sie aufgelassen und blockiert hatte. Manche waren von Grundwasser überflutet worden, und einige waren eingestürzt. Wieder andere, die Energie aus geothermalen Quellen bezogen, warteten sich selbst und verblieben im Bereitschaftszustand. Manche von ihnen dienten unzufriedenen Expoliten wie Jeshua als Unterschlupf.
    Viele Tunnelsysteme hatten sich in Gefahrenzonen verwandelt. Einige der lebenden Städte, die gerade erst fertiggestellt und noch nicht abgenommen worden waren, hatten ihre menschlichen Baumeister während des Exodus verjagt und waren dann kollabiert. Diverse isolierte Komponenten – Versorgungsmodule, Instandhaltungsroboter, Transportfahrzeuge – hatten sich aus
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