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Die Macht der Steine

Die Macht der Steine

Titel: Die Macht der Steine
Autoren: Greg Bear
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gehofft, daß die Dinge sich ändern würden, daß seine Genitalien sich wie eine späte Blume doch noch normal entwickelten, und das hatten sie auch. Aber nicht genug. Seine Hoden waren voll entwickelt, ausreichend, um ihm Körperbehaarung wachsen zu lassen und ihn mit breiten Schultern, flachem Bauch, schmalen Hüften und allen Attributen eines jungen Mannes auszustatten – aber sein Penis war nach wie vor das kleine rosige Gehänge eines Kindes.
    Nun explodierte Jeshua. Er rannte hinter Renold her, aus der Halle hinaus, stieß unartikulierte bellende Laute aus und ließ das Fernglas am Lederriemen herumwirbeln. Renold rannte auf den Dorfplatz und kreischte eine Warnung. Kinder und Geflügel rannten schreiend durcheinander. Frauen rafften ihre Röcke und flüchteten sich in die Holz- und Ziegelhäuser.
    Jeshua verhielt den Schritt. Er ließ das Fernglas über dem Kopf rotieren und schleuderte es fort, so weit er konnte. Das Instrument rasierte den Wipfel des höchsten Baumes im Umkreis ab und fiel in einer Entfernung von hundert Fuß zu Boden. Noch immer diese bellenden Laute ausstoßend, hetzte er auf ein Haus zu und legte die Hände auf die Mauer. Er stemmte die Füße auf den Boden und drückte. Er warf sich mit der Schulter dagegen. Es rührte sich nicht. Dadurch nur noch mehr in Rage versetzt, wandte er sich einem Wassertrog zu, hob ihn an und schüttete sich den Inhalt über den Kopf. Die kalte Dusche konnte ihn indes auch nicht abkühlen. Er warf den Trog gegen die Mauer, wo er zersplitterte.
    »Genug!« rief da der Kommandeur der Wache. Jeshua hielt inne und schaute blinzelnd auf Sam Daniel den Katholiken. Er wankte, völlig verausgabt. Er verspürte Bauchschmerzen.
    »Genug, Jeshua«, sagte Sam Daniel leise.
    »Das Gesetz nimmt mir mein Geburtsrecht. Ist das denn Gerechtigkeit?«
    »Deine Bürgerrechte vielleicht, jedoch nicht dein Geburtsrecht. Du bist nicht hier geboren, Jeshua. Aber das ist nicht unsere Schuld. Niemand weiß, warum die Natur manchmal einen Fehler macht.«
    »Nein!« Er lief um das Haus und nahm eine Seitenstraße zu dem dreieckig angelegten Marktplatz. Die Stände waren von Kunden umlagert, die gefüllte Einkaufstaschen fortschleppten. Er sprang in das Dreieck und begann zu randalieren, wobei er die Leute bedrängte und die Marktstände demolierte. Sam Daniel und seine Truppe folgten ihm.
    »Er läuft Amok!« schrie Renold aus dem Hintergrund. »Er hat versucht, mich umzubringen!«
    »Ich habe immer schon gesagt, er ist zu groß, als daß man ihn frei herumlaufen lassen dürfte«, grummelte ein Angehöriger der Wache. »Jetzt seht euch nur an, was er da anrichtet.«
    »Er wird sich dafür vor dem Rat verantworten«, versprach Sam Daniel.
    »Nee, vor dem Septuagint wird er sich verantworten, als Verbrecher, wenn er noch mehr Schaden verursacht!«
    Sie folgten ihm über den Marktplatz.
    Jeshua blieb an der Basis eines Hügels stehen, in der Nähe eines alten Tores, das aus dem eigentlichen Dorf hinausführte. Die Lunge schmerzte ihm beim Atmen, und sein Gesicht war rot wie eine Tomate. Sein Haar war schweißverklebt. Im Wirrwarr der Gedanken suchte er nach einem Ausweg, dem einzigen jetzt möglichen Ausweg. Sein Vater hatte es ihn gelehrt, als er dreizehn oder vierzehn gewesen war. »Die Städte sind wie Ärzte«, hatte sein Vater gesagt. »Sie können alle unsere Gebrechen heilen. Das haben wir nach der Vertreibung der Menschen aus den Städten verloren.«
    Keine Stadt würde einem richtigen Mann oder einer richtigen Frau Zugang gewähren. Aber Jeshua war anders. Richtige Menschen konnten sündigen. Er hingegen konnte kein faktischer, sondern nur ein virtueller Sünder sein. In seiner Verwirrung schien dieser Unterschied eine bedeutende Relevanz zu erlangen.
    Sam Daniel und seine Männer fanden ihn am Rande des Dschungels, als er sich von Bethel-Japhet entfernte.
    »Stop!« befahl der Kommandeur der Wache.
    »Ich gehe«, erwiderte Jeshua, ohne sich umzudrehen.
    »Du kannst nicht ohne ein Urteil gehen!«
    »Doch, kann ich.«
    »Wir werden dich jagen!«
    »Dann verstecke ich mich eben, verdammt!«
    Es gab nur einen Schlupfwinkel in der Ebene, und der befand sich unter der Erde, an einem der Orte, welche durch die Konstruktion der lebenden Städte erschaffen worden waren und die gemeinhin als ›Sheol‹ bezeichnet wurden. Jeshua rannte los. Bald hatte er sie alle abgehängt.
    Fünf Meilen vor sich sah er die Stadt, die von Mesa Canaan aufgebrochen war. Sie hatte sich am Fuße des
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