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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen
Autoren: Cassandra Negra
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heute stellte sich etwas von diesem Prickeln von einst ein, wenn sie an diesen Moment dachte. Ihr Herz hatte wie wild geklopft, und es war ihr schier unmöglich gewesen, einen klaren Gedanken zu fassen. Als dann sein Vorschlag zu einem gemeinsamen Essen kam, wähnte sie sich am Ziel ihrer Träume. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass ein solcher Mann sich für sie interessieren könnte. Was hatte sie schon zu bieten? Sie war jung, naiv, unerfahren, unbeschwert und genoss einfach die ersten Tage in der Freiheit der Volljährigkeit.
    Der Abend endete wie in einem kitschigen Groschenroman. Heute musste sie darüber lächeln, aber damals war sie auf diese romantische, scheinbar heile Welt hereingefallen.
    Nur langsam hatte sie die Scherben wieder aufgesammelt, die entstanden waren, als jene dunkelhäutige brasilianische Schönheit mit ihrem Auftauchen in der Fahrschule des kleinen Ortes Leas Träume zerstört hatte. Sie war angekommen in der rauen Wirklichkeit des Lebens, die so gar nicht der Vorstellung entsprach, die sie bis dahin gehabt hatte. Lange Zeit noch hatte sie sich an die vage Hoffnung geklammert, dass doch einmal der Richtige dabei sein musste, und dabei gar nicht bemerkt, dass sie das Glück nicht erzwingen konnte.
    Jetzt saß sie auf ihrer Harley, klappte ihr Visier hoch und ließ sich den Wind ins Gesicht blasen – gerade so, als könnte er all diese bitteren Erinnerungen mit sich nehmen. Heute hatte sie ihre Lektion gelernt und verstanden, dass nichts wichtiger war, als sich erst einmal selbst zu finden – zu wissen, wer man war und was man wollte. Lea war zufrieden, sie hatte die ersten schwierigen Prüfungen ihres Lebens gemeistert: Zunächst ihre Dissertation und heute die bestandene Prüfung, mit der sie sich den Weg zur Profilerin geebnet hatte. Was wollte sie mehr?

    Während Lea in der kleinen, gemütlichen »Casablanca Bar« auf Patrizia wartete, die sich wie immer verspätete, ließ sie die letzten Jahre noch einmal Revue passieren. Sieben Jahre war es jetzt her, dass sie das erste Mal während ihres Psychologiestu diums über den Beruf des Profilers gelesen und begonnen hat te, sich dafür zu interessieren. Mit Erstaunen hatte sie damals zur Kenntnis genommen, dass knapp die Hälfte ihrer Kommilitonen ebenfalls den Wunsch hatte, diesen Beruf zu ergreifen, der durch die Medien mit vielen Klischees behaftet ist. Aber nur wenige von ihnen schafften es schließlich.
    Nach ihrem Psychologiestudium und zwei Berufsjahren beim LKA Berlin, einem beinharten Auswahlverfahren und weiteren fünf Jahren in der Ausbildung zum Polizeilichen Fallanalytiker – wie die offizielle Berufsbezeichnung der Profiler in Deutschland lautete – hatte sie es geschafft. Unglaublich, aber wahr: Lea Lands war tatsächlich deutschlandweit die erste weibliche Profilerin!
    Drei ausgewiesene Stellen gab es bisher, und deren Inhaber waren ausschließlich mit der Thematik der operativen Fallanalyse beschäftigt, die schwerpunktmäßig im Bereich der Weiterentwicklung des fallanalytischen Methodenrepertoires und der Erforschung der kriminologischen Grundlagen sowie Koordinationsaufgaben angesiedelt war. Ein Job, der für Lea viel zu trocken war.
    Nein, sie wollte mehr, raus aus der Arbeitsroutine und direkt an die Front, auf Tuchfühlung mit den Verbrechern und sich in deren Seele versetzen, um ihre Triebe und ihre Handlungen verstehen. Im Laufe ihrer Ausbildung hatte sie viel über Verhaltensforschung, Geiselnahmen und Verhandlungsführungen, über rechtsmedizinische Grundlagen und über die Fallanalyse gelernt, aber am meisten hatten sie immer wieder die Fälle der Serienmörder fasziniert.
    Anfangs konnte sie sich nicht so recht erklären, woher diese unheimliche Faszination wohl kam, und aus Sicht der wissenschaftlichen Kriminologie wurde ohnehin bestritten, dass es sie überhaupt gäbe.
    Es war wohl das Unerklärbare, das abgrundtief Böse, das Lea in seinen Bann zog – das Ungeheuerliche, sich kaltblütig über Recht und Moral zu stellen. Und vielleicht war es auch die Tatsache, dass sie zuweilen Unbekanntes und Verborgenes, Fremdes und manchmal gar Eigenes in diesen Fällen entdeckte?
    Schon immer hatten kaltblütige Verbrecher an den Grundfesten menschlicher Gesellschaften gerüttelt. Massenhaft riefen sie Angst und Abscheu hervor. So wie Hitler. Ihr ganzes Studium hindurch hatte seine Persönlichkeit sie nicht losgelassen. Etwas an ihm faszinierte sie. Es war die dunkle Seite, die sie ergründen wollte. Sie
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