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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen
Autoren: Cassandra Negra
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rieselten auf ihn herab, sodass er kaum mehr atmen konnte. Er verspürte eine nie gekannte Untergangsstimmung. Der Wanderer war zurück. Wenger rang verzweifelt nach Luft. Der Mann war gekommen, um ihn mitzunehmen in sein Reich.
    Schweißgebadet saß Wenger in seinem Bett. Alles war nur ein Traum gewesen – und doch so real.

    N ur langsam erwachte Lea. Ein Blick auf den Wecker signalisierte ihr, dass es Zeit zum Aufstehen war. Der Regen hatte schon die ganze Nacht hindurch gegen die Fensterscheiben getrommelt und hielt auch jetzt unvermindert an. Dieses Wetter vermieste ihr gänzlich die Lust, sich aus dem Bett zu erheben. Am liebsten wollte sie sich noch einmal genüsslich ihre Decke über die Ohren ziehen und ein wenig vor sich hin dösen. Als sie dann aber eine kalte, feuchte Zunge an ihrem Ohr spürte, wusste sie, dass sie aufstehen sollte.
    »Na, Arthur, mein Lieber«, begrüßte sie, noch etwas verschlafen, ihre Bordeauxdogge, die erwartungsvoll mit dem Schwanz wedelnd vor ihr stand. »Heute ist der große Tag für Frauchen: die Abschlussprüfung!«
    Dann schwang sie ihre Füße aus dem Bett, drehte das Radio laut auf und duschte. In einer Stunde schon würde die Prüfung beginnen. Sie musste sich beeilen.

    Kurze Zeit später stand sie, gefangen zwischen Hoffen und Bangen, auf dem Flur der Freien Universität. Die Studenten nannten das Gebäude »Rostlaube«, weil seine Farbe daran erinnerte.
    Eigentlich hätte Lea sich keine Sorgen machen müssen. Sie wusste, sie hatte intensiv gelernt und war gut vorbereitet. Wie immer, wenn es um eine Prüfung ging, gab sie alles, denn eine Wissenslücke wollte sie nicht riskieren. Das hätte nicht zu ihrem perfektionistischen Anspruch gepasst.
    Dennoch bekam sie wieder feuchte Hände und fühlte sich wie eines der kleinen Aufziehpüppchen, die plötzlich überdrehen. Da war sie wieder, diese Angst! Eigentlich eine natürliche Reaktion auf bedrohliche Situationen – und dazu gehörten für sie zweifelsohne auch Prüfungen. Nicht die Anspannung oder die Unruhe an sich waren für Lea problematisch, sondern das Ausmaß, in dem diese bei ihr vorhanden waren. Sie hatte Panik! Eine furchtbare, vollkommen irreale Angst zu versagen und durchzufallen. Eigentlich undenkbar, denn sie war eine der Besten. Aber wie jedes Mal hatte es nichts mit ihren Fähigkeiten zu tun, nein, es war ihr mangelndes Selbstvertrauen, das ihr einen Streich spielte.
    »Hey, Lea«, hörte sie eine vertraute Stimme auf dem Gang, und sie war froh, aus ihren Gedanken gerissen zu werden.
    »Mensch, Leo«, begrüßte sie erfreut ihren Studienkollegen, »wie ist es denn bei dir gelaufen?«
    »Gut«, versicherte er und grinste, »ich habe bestanden.«
    »Das ist ja toll, komm her und lass dich drücken. Was wirst du jetzt machen, hast du schon Pläne?«
    Aber Leo zuckte nur mit den Schultern. Er habe nicht so viel Glück gehabt wie sie und würde wohl zunächst in die Wirtschaft gehen, was ja auch nicht übel sei. Vielleicht würde er Investmentbanker werden, setzte er nach und lachte. Da seien ja schließlich auch Psychologie und kriminologisches Gespür gefragt. Eine Stelle als Profiler sei im Moment einfach nicht zu kriegen.
    »Und du warst einfach besser!«, fügte er hinzu.
    »So ein Quatsch!« Sie kicherte etwas nervös und gekünstelt.
    »Frau Lands?«, rief eine ältere Männerstimme. »Kommen Sie, Sie sind die Nächste!«
    Leo umarmte sie und drückte ihr fest beide Daumen. Er war überzeugt davon, dass diese Prüfung kein Problem für sie sein würde.
    »Du bist die Beste! Denk daran!«, rief er ihr nach.
    Lea genoss die kleine Aufmunterung, die ihr half, hocherhobenen Hauptes in den Prüfungsraum zu schreiten.
    »Guten Tag, Frau Lands«, begrüßte sie der Vorsitzende der K ommission, Professor Schneider, ein rundlicher älterer Herr mit grauem Anzug und einer markanten Hornbrille, durch die er wie ein gelehriger Klassenprimus wirkte. »Heute ist Ihr großer Tag.«
    Er sah sie scharf durch die dicken Glasbausteine seiner Brille an.
    »Ich habe bereits gehört, dass Sie einen Job bekommen haben«, sagte er und beglückwünschte sie. »Dann wird das ja hier heute sicher eine reine Formsache für Sie sein.«
    »Hoffentlich«, flehte die aufgeregte Studentin in Gedanken. Sie spürte, wie die Aufregung wieder ihr hochstieg, von ihr Besitz ergriff und ihre Kehle zuschnürte. Wie eine Würgeschlange, die immer fester zudrückte, bis das Opfer nicht mehr atmen konnte. Sie hielt sie fest umklammert, und wie
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