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Die Lüge

Die Lüge

Titel: Die Lüge
Autoren: Petra Hammesfahr
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kümmern, damit sie wieder unter Menschen kam. Und als es an dem Mittwochabend Ende Mai klingelte, dachte sie, es sei die Kunststudentin, die Lilo ihr angekündigt hatte. Sie drückte auf den elektrischen Türöffner und öffnete die Wohnungstür. Die Anzeige über dem Lift leuchtete auf. Der Aufzug kam, die Tür glitt auf.
    Michael sah fast aus wie am Probesonntag, trug Jeans undein lässig weites Polohemd. Sie fühlte nur den dumpfen Herzschlag. Und er wusste nicht, wohin er schauen sollte. Nach einem sehr kurzen Blick in ihr Gesicht kam er mit gesenktem Kopf näher. «Darf ich   …» Er brach ab und machte eine hilflose Geste mit beiden Händen. «Hereinkommen?»
    Sie gab die Tür frei, ging ihm voran ins Wohnzimmer und blieb mitten im Raum stehen. Er nahm in einem Sessel Platz, knetete seine Hände, hielt den Blick auf den Teppich gerichtet und erkundigte sich stockend. «Ist es wirklich mein Kind?»
    «Es war sonst niemand da in den letzten Jahren.»
    Er biss sich auf die Lippen, nickte versonnen und räusperte sich. «Ich habe mich vor ein paar Tagen mit Lasko unterhalten.» Worüber er mit Dieter gesprochen hatte, erklärte er nicht. Dieter hatte das Gespräch auch nicht erwähnt. Unvermittelt fragte er: «Darf ich sie sehen?»
    Es gab keinen Grund, ihm das zu verweigern. Nur begleiten mochte sie ihn nicht. Sein unerwartetes Erscheinen hatte ein Chaos an Gefühlen ausgelöst. In all den Monaten hatte sie geglaubt, das Schlimmste hinter sich gelassen zu haben. Aber wirklich verblasst waren nur seine Hände an ihrem Hals und die Kälte.
    Er blieb fast eine halbe Stunde im Kinderzimmer. Dann kam er zurück – mit dem Baby im Arm. Er behauptete, es sei wach gewesen. Das glaubte sie ihm keine Sekunde lang. Wieder setzte er sich in den Sessel, seine Tochter im Arm.
    «Wenn du erwartest, dass ich mich jetzt entschuldige, muss ich dich enttäuschen», begann er. «Ich erwarte eine Entschuldigung von dir.»
    «Ich habe nichts getan, wofür ich mich entschuldigen müsste.»
    Er lachte rau, schaute auf das Baby hinunter. «Nicht? Und wie nennst du das hier? Das war der zwölfte September.»
    «Oder der dreizehnte», sagte sie. «Bei meiner Vita nehmeich eher an, es war der Freitag. Und wie es dazu gekommen ist, habe ich dir schon erklärt. Wenn du mich donnerstags in Ruhe gelassen hättest, wäre das nicht passiert.»
    Darauf ging er nicht ein, wurde heftig: «Ich werde nie begreifen, warum sie das getan hat. Aber warum du dich darauf eingelassen hast, wüsste ich gerne. Was hast du dir dabei gedacht, dich zu einem Fremden ins Bett zu legen und dich dafür von seiner Frau bezahlen zu lassen? Sie hat dich doch bezahlt. Wie viel hat sie dir geboten?»
    «Ich war bestimmt nicht so teuer wie dein Studium», sagte sie.
    Er grinste abfällig. «Du scheinst eine Menge von ihr gelernt zu haben.»
    «Mir blieb gar nichts anderes übrig. Gehst du jetzt, bitte.» Sie machte einen Schritt auf ihn zu und streckte die Hände nach dem Baby aus. «Gib sie mir.»
    «Nein!» Er schüttelte den Kopf. «Ich will zuerst eine Antwort. Wenn du schon am achtundzwanzigsten November da warst, dann warst du das an dem Freitagmorgen im Bad. Und sie hat dich bestimmt nicht dafür bezahlt, mir zu erklären, dass du mich liebst und dir selbst wehtust mit diesem Geständnis. Warum hast du mir in dem Moment nicht gesagt, wer du bist?»
    «Wie hättest du das denn aufgenommen in dem Moment? Meinst du, du wärst begeistert gewesen?»
    Darauf bekam sie keine Antwort. «Hast du eine Ahnung, was für ein Gefühl das ist, mit einer Fremden zu leben und es erst nach Wochen zu merken?», wollte er wissen. «Und wenn du nicht diesen Unsinn mit Jacques veranstaltet hättest, wer weiß, wie lange es noch so gegangen wäre!»
    Er war zu laut, das Baby in seinem Arm begann zu quengeln.
    «Gib sie mir», verlangte sie erneut.
    Er reagierte nicht, sprach weiter, als habe er sie nicht gehört. «Als wir aus Paris zurückkamen, dachte ich, es wäre die beste Zeit gewesen, die wir je hatten. Es war alles anders, natürlich war es das. Aber eigentlich war es so, wie ich es immer gerne gehabt hätte mit ihr. Ich dachte, sie wäre endlich zur Vernunft gekommen. Warum bist du in Paris nicht abgehauen, wie dein Mann es dir dringend empfohlen hatte? Warum bist du dieses Risiko eingegangen und bei mir geblieben? Du hast es doch nicht allein für Geld getan, oder?»
    Sie glaubte zu wissen, was er hören wollte. Aber das hatte sie ihm auch bereits gesagt. Geglaubt hatte er ihr
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