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Die Listensammlerin

Die Listensammlerin

Titel: Die Listensammlerin
Autoren: Lena Gorelik
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«Nein, Listen schreibt sie grundsätzlich nicht auf dem Computer. Listen müssen per Hand geführt werden, verstehst du?» Es klang so ironisch, dass alle leicht verängstigt zu mir blickten. Ich lachte, Flox zuliebe, entschlossen, es als liebevolle Neckerei aufzufassen. Früher hatten wir uns viel geneckt. Ich nahm den Computer und setzte mich wieder zurück, etwas abseits. Sie beobachteten mich wie einen Affen im Zoo oder wie wir alle Anna manchmal, und ich schwor mir, die Affen und Anna in Zukunft von diesen Blicken zu verschonen. Ich hatte die Schatulle mitgebracht und holte sie nun hinaus, faltete die Blätter, die Listen vorsichtig auf, als Kind hatte Frank mich in Archive mitgenommen und mir gezeigt, wie man alte, wertvolle Dokumente anfasst. Ich ging sie noch einmal durch. Ich blickte nicht auf, weil ich nicht wissen wollte, was meine Mutter oder Frank davon hielten.
    «Magst du nichts essen, Sofia?», fragte Flox’ Vater. Er hatte inzwischen gefüllte Blätterteigtaschen vom Türken geholt und war der Einzige, der aß. Konnten sie nichts essen oder trauten sie sich nicht? Ich würde im Roman auch über das Nicht-Rücksicht-Nehmen schreiben müssen.
    Flox stand auf und kam zu mir und fragte so leise, dass es die anderen nicht hörten:
    «Willst du schreiben?»
    Ich nickte, er auch, er sah mich, beeindruckt, schien mir, an, strich mir über die Schulter und ging zu seiner Familie zurück. Ich vergaß sie, als ich zu tippen begann.
     
    «Man gewöhnt sich an alles, auch an die Angst. Großmutter hatte das einmal gesagt, als faktischen Nebensatz fallenlassen, nicht mit der Schulter gezuckt, keine Pause gemacht, einmal, als sie vom Krieg sprach. Großmutter sprach selten vom Krieg.
    Onkel Grischa sprach gerne vom Krieg, er sprach überhaupt gerne.»

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Über Lena Gorelik
    Lena Gorelik, 1981 in Leningrad (heute St. Petersburg) geboren, kam 1992 mit ihrer Familie nach Deutschland. Mit ihrem Debütroman «Meine weißen Nächte» (2004) wurde die damals dreiundzwanzigjährige Autorin als Entdeckung gefeiert, mit ihrem zweiten Buch, «Hochzeit in Jerusalem» (2007), war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert.

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Über dieses Buch
    Oft weiß Sofia nicht aus noch ein: An das Dasein als Mutter hat sie sich noch nicht gewöhnt, ihre kleine Tochter wird bald am Herzen operiert, Sofias überfürsorgliche Mutter ist mehr Last als Hilfe, und ihre alte Großmutter dämmert dement vor sich hin. Nur ihre Leidenschaft, Listen anzulegen – Listen der peinlichsten Kosenamen, der witzigsten Neurosen, der schlimmsten Restaurants etc. –, bringt ein wenig Ordnung in Sofias Leben. Da macht sie in der großmütterlichen Wohnung eine Entdeckung: eine andere Listensammlung, in vergilbte Hefte notiert, in kyrillischer Schrift – die Familie hat in den Siebzigern die Sowjetunion verlassen. Über diesen Fund stößt Sofia auf einen geheimnisvollen Onkel, von dem nie jemand sprach: Onkel Grischa, ein Querkopf und schräger Vogel, der sich im Untergrund betätigt hat, der alle in Gefahr brachte und den trotzdem alle liebten. Anhand der Listen spürt Sofia Grischas dunkler Geschichte nach und entdeckt, was die Vergangenheit für das Jetzt und für sie bedeuten kann … «Die Listensammlerin» erzählt mitreißend und mit herrlich originellen Figuren die Geschichte von Grischa und Sofia. Ein oft komischer, warmer und lebensnaher Familienroman, der gar nicht so einfache Fragen stellt: was Familie, Nähe und Fremdsein bedeuten – und wer man selber ist.

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Impressum
    Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, September 2013
    Copyright © 2013 by Rowohlt · Berlin Verlag GmbH, Berlin
    Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages
    Dieser Roman wurde gefördert durch das Literaturstipendium des Freistaats Bayern
    Umschlaggestaltung Frank Ortmann
    Schrift DejaVu
    Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.
    Bitstream Vera is a trademark of Bitstream Inc.
    ISBN Buchausgabe 978-3-87134-606-4 (1. Auflage 2013)
    ISBN Digitalbuch 978-3-644-11521-7
    www.rowohlt-digitalbuch.de
    ISBN 978-3-644-11521-7
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