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Die Liebeslist

Die Liebeslist

Titel: Die Liebeslist
Autoren: ANNE O'BRIEN
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blieb dermaßen unvermutet stehen, dass sie einen hastigen Ausfallschritt machen musste, sonst wäre sie ihm in die Hacken getreten. Er wandte sich so plötzlich zu ihr um, dass sie unwillkürlich einen Schritt zurückprallte. Dann musterte er sie von Kopf bis Fuß, von den schlammbespritzten Schuhen bis hinauf zu den üppigen Locken, die vom Wind zerzaust ihr Gesicht umrahmten. „Euer Erbe, sagt Ihr? Wer seid Ihr denn?“
    Sie reckte entschieden das Kinn. „Rosamund de Longspey.“
    „Longspey?“ Der Ritter furchte die Stirn. Sein Blick wurde durchdringender. „Die Longspey-Erbin? Aber die ist doch noch ein Kind!“
    „Von wegen!“ Rosamund entfuhr ein abfälliger Laut, fast schon ein verächtliches Schnauben. „Ich bin jedenfalls kein Kind mehr!“
    „Das ist nicht zu übersehen.“ Der Ritter betrachtete sie, anscheinend bemüht, die neue Lage abzuschätzen. Dann zuckte er gleichgültig die Schultern. „Sei es drum – tut trotzdem nichts zur Sache.“
    Die Lady straffte resolut den Rücken. „Da bin ich anderer Meinung! Diese Burg gehört mir!“
    „Ihr irrt Euch, meine Dame. Tut sie nicht.“ Mittlerweile sichtlich gereizt, hob er den Arm und wies mit einer ausladenden Geste auf seine Männer, die gerade am Torhaus und auf den Wehrgängen ihre Stellungen einnahmen. Die Pferde wurden bereits in den für so viele Tiere ungeeigneten Stall gepfercht. „Wie Euch zweifellos klar geworden sein dürfte, ist Clifford Castle nunmehr in meinen Besitz übergegangen.“
    „Wer sagt das?“ Verwirrung und Empörung, ja, auch ein Anflug von Furcht spiegelten sich auf Rosamunds Zügen. Allmählich spürte sie, wie die Angst in ihr aufstieg. Hoffentlich merkte der Ritter nicht, wie sie bang die Finger in dem dicken Pelzfutter ihres Mantels vergrub!
    Hochmütig sah Fitz Osbern auf die Frau hinunter, die ihm kaum bis zur Schulter reichte. Was Rosamund faszinierte, das war seine Nase – eigentlich ein völlig unbedeutendes Detail angesichts der Tatsache, dass sie sich vom Blick seiner kalten grauen Augen förmlich festgenagelt fühlte. Eine schöne Nase war es gleichwohl, mit hohem Nasenrücken, der das selbstherrliche Gebaren des Ritters noch betonte.
    „Wer das sagt? Ich! Sie gehört mir. Genauso wie das hier!“ Rücksichtslos zückte er das Schwert und zielte mit der Klingenspitze mitten auf Rosamunds Brust, ohne sie allerdings zu berühren. Dabei verzog er das dunkle, unrasierte Gesicht zu einem wölfischen Lächeln, das allerdings den wild-verwegenen Blick nicht einen Deut zu erwärmen vermochte. „Macht ist gleich Recht, Verehrteste. Und die Macht hier habe von Stund an ich. Denn ich halte das Schwert in der Faust. Nicht Ihr!“
    Rosamund erstarrte, als sei ihr das Blut in den Adern gefroren. Die Drohung, die in seinen Worten lag, ließ sich nicht einfach abtun. Dazu klang sie zu eindringlich.
    Plötzlich und ohne Vorwarnung ließ er das Schwert sinken. Gott sei Dank! Rosamunds Erleichterung war allerdings nur von kurzer Dauer, denn ebenso unvermutet machte der Ritter einen Schritt auf sie zu. Ehe sie zurückweichen konnte, umschlang er sie mit dem Arm, packte fest zu und presste sie so grob an sich, dass ihre Füße fast vom Boden abhoben – ganz dicht, Brust an Brust und Hüften an Hüften. War sie zuvor schon sprachlos gewesen, so setzte jetzt zu allem Überfluss auch noch ihr Verstand aus, sodass sie außerstande war, einen klaren Gedanken zu fassen. Alles war nur noch Empfinden: sein kräftiger Körper an ihrem, die Hitze, die er ausstrahlte, als er sie an sich drückte, so eng, dass kein Blatt mehr zwischen sie passen würde. Sie hatte noch nie erlebt, wie es war, einem Mann ausgeliefert zu sein. Nach Atem ringend, spürte sie, wie ihr das Herz in der Brust pochte, und es nutzte auch nichts, dass sie sich aus Leibeskräften wehrte.
    Wenn man in die Hände eines solchen Mannes fiel – welche Hoffnung blieb da noch? Zum ersten Mal seit dem Tag ihrer Geburt fürchtete Rosamund de Longspey um ihr Leben und ihre Ehre.

1. KAPITEL
    Januar 1158, zwei Wochen vorher
    In flottem Tempo trabten die Reiter in nordwestlicher Richtung aus Gloucester hinaus, angetrieben von der verlockenden Aussicht auf einen warmen Empfang auf Fitz Osbern Castle in der Grafschaft Monmouth. Nur endlich heraus aus diesem dreimal vermaledeiten windigen Regenwetter! Ale in Strömen, eine warme Mahlzeit, eine sanfte Frauenhand, ein heißes Bad – all das war wahrlich nicht zu verachten. Schon lange bei Wind und Wetter unterwegs, waren
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