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Die Liebenden von Leningrad

Die Liebenden von Leningrad

Titel: Die Liebenden von Leningrad
Autoren: Paullina Simons
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einen Witz für dich, lieber Pascha«, sagte Tatiana, die nicht aufgeben wollte und sich vom Verhalten ihres Bruders nicht abschrecken ließ.
    »Ich will deine dummen Witze nicht hören, Tania.« »Dieser wird dir gefallen.« »Das denke ich nicht.«
    Papa sagte in bestimmtem Ton: »Tatiana, jetzt ist nicht die Zeit für Witze.«
    Deda mischte sich ein. »Georgi, lass das Mädchen doch.«
    Tatiana nickte Deda zu und begann: »Ein Soldat wird zu seiner Hinrichtung geführt. >Es wird gleich regnen«, sagt er zu seinen Wachen. >Jetzt hört euch den mal an«, erwidern sie. >Wir müssen den gleichen Weg wieder zurück.«« Niemand rührte sich. Niemand lächelte. Pascha zog eine Augenbraue hoch, kniff Tania und flüsterte: »Netter Versuch, Tania.«
    Sie seufzte. Irgendwann würde sich ihre Stimmung gewiss heben, dachte sie, aber nicht mehr heute.

    »Tatiana, du brauchst dich nicht so umständlich zu verabschieden! Du siehst deinen Bruder in einem Monat wieder. Komm mit nach unten und halt uns die Haustür auf. Deiner Mutter tut der Rücken weh«, sagte Papa zu ihr, als sie sich daranmachten, Paschas Gepäck samt der Taschen voller Essen für das Ferienlager hinunterzutragen. »Gut, Papa.«
    Die Wohnung hatte die Form eines Zuges - ein langer Flur, von dem neun Zimmer abgingen. Es gab zwei Küchen, eine vorne und eine hinten, woran die Badezimmer mit Toiletten angrenzten. In den neun Zimmern wohnten insgesamt fünfundzwanzig Personen. Vor fünf Jahren waren es sogar dreiunddreißig gewesen, aber acht Menschen waren weggezogen oder gestorben oder einfach verschwunden.
    Tatianas Familie lebte im hinteren Teil der Wohnung. Die hintere Küche war die größere, und von dort aus führte eine Treppe hinauf aufs Dach und hinunter in den Hof. Tatiana schlich sich gern über die Hintertreppe hinaus, weil sie dann nicht am Zimmer des verrückten Slawin vorbei musste. Außerdem stand in der hinteren Küche ein größerer Herd als in der vorderen, und das Bad war ebenfalls größer. Und die Metanows mussten sich diese Räume mit nur drei anderen Familien teilen - den Petrows, den Sarkows und mit dem verrückten Slawin, der aber weder kochte noch badete.
    Als Tatiana durch den Flur zur Wohnungstür ging, kam sie an dem gemeinsamen Telefon vorbei. Petr Petrow telefonierte gerade und Tatiana kam in den Sinn, welch großes Glück es doch war, dass ihr Telefon funktionierte. Ihre Kusine Marina lebte in einer Wohnung, in der das Telefon ständig kaputt war. Es war schwierig, sie zu erreichen, und meistens musste Tatiana ihr schreiben oder direkt zu ihr gehen. Das tat sie nicht oft, denn Marina wohnte am anderen Ende der Stadt, am gegenüberliegenden Ufer der Newa.
    Als Tatiana auf Petr zukam, sah sie, dass er äußerst erregt war. Offenbar wartete er auf eine Verbindung, und obwohl die Schnur nicht so lang war, dass er auf und ab gehen konnte, bebte er doch am ganzen Körper. Er bekam genau in dem Augenblick Anschluss, als Tatiana in dem engen Flur an ihm vorbeiging, denn plötzlich schrie er ins Telefon: »Luba? Bist du das? Bist du das, Luba?«
    Tatiana stieß vor Schreck an die Wand. Unwillkürlich lauschte sie auf seine Worte.
    »Luba, kannst du mich hören? Die Verbindung ist so schlecht. Alle versuchen zu telefonieren. Luba, komm sofort nach Leningrad zurück! Hast du gehört? Der Krieg ist ausgebrochen. Nimm alles mit, was du tragen kannst, den Rest lässt du da, und dann nimmst du den nächsten Zug. Luba! Nein, nicht in einer Stunde, auch nicht morgen - sofort, verstehst du? Komm sofort zurück!« Er schwieg. »Vergiss unsere Sachen, sag ich dir. Hörst du mir überhaupt zu, Weib?«
    Tatiana drehte sich um und warf einen Blick auf Petrs verkrampften Rücken.
    »Tatiana!« Papa funkelte sie zornig an, als ob er sagen wollte: Wenn du nicht sofort hierher kommst... Aber Tatiana wollte noch mehr hören. Ihr Vater schrie durch den Flur: »Tatiana Georgiewna! Komm her und hilf uns!« Genau wie ihre Mutter nannte auch ihr Vater sie bei ihrem vollen Namen, wenn er ihr klar machen wollte, wie ernst er es meinte. Tatiana eilte zu ihm, wobei sie sich fragte, warum Petr Petrow sich so aufregte und warum ihr Bruder die Tür nicht selbst öffnen konnte.
    Wolodja Iglenko ging mit den Metanows die Treppe hinunter.
    Er war in Paschas Alter und fuhr mit ihm in das Ferienlager in Tolmachewo. Er trug seinen Koffer selbst und machte sich auch selbst die Tür auf. »Pascha, ich zeige es dir«, sagte Tatiana leise. »So geht es. Leg deine Hand um den
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