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Die Leute mit dem Sonnenstich

Die Leute mit dem Sonnenstich

Titel: Die Leute mit dem Sonnenstich
Autoren: Horst Biernath
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feststellen können. Die rechte Schulter habe ich eingerenkt. Eine Tetanusspritze haben Sie auch bekommen. Also, was zu tun war, ist geschehen. Nach ein paar Tagen werde ich Sie dem Masseur übergeben. Fühlen Sie sich kräftig genug, mir ein paar persönliche Fragen zu beantworten?«
    »Sie ahnen nicht, wie wohl mir zumute ist! Wohler jedenfalls als in dem Augenblick, als ich auf der Rollbahn das Telegramm las, den Sanitätswagen sah und die Kiste zur Landung ansetzte.«
    Sogar Schwester Kordula kicherte leise. Dr. Schwenninger zog sich einen Stuhl heran und ließ sich neben dem Bett nieder. Er zog einen Schreibblock aus der Manteltasche und kam nach den rasch erledigten Routinefragen zu den persönlichen Dingen.
    »Sie trugen Ihre Papiere bei sich. Ich habe sie mir natürlich angesehen. Sie sind Ingenieur?«
    »Ja, ich habe einen Vertrag mit der Iran Oil Company abgeschlossen, im August für fünf Jahre nach Persien zu gehen und dort nach öl zu bohren. Bis dahin bin ich doch bestimmt in Ordnung, wie?«
    »Natürlich, meiner Ansicht nach können Sie das Bett nach vierzehn Tagen verlassen.« Der Doktor erhob sich halb: »Im Augenblick habe ich nur noch eine Frage: Haben Sie Eltern oder jemanden, den ich benachrichtigen soll?«
    »Ich bin verlobt«, sagte Michael ein wenig zögernd; »nicht, daß Barbara — meine Braut — sehr schreckhaft ist. Aber es wäre mir doch lieb, wenn ich sie persönlich benachrichtigen könnte.«
    »Von mir aus, bitte sehr! Wenn Sie den Kopf drehen könnten, würden Sie sehen, daß Sie hier Telefonanschluß haben. Schwester Kordula wird Ihnen nachher einen Apparat ans Bett bringen.«
    »Sehr nett«, murmelte Michael, dem ein Stein vom Herzen zu fallen schien. »Wir wollen übrigens im Juli heiraten. Meine zukünftige Frau will mich nach Persien begleiten. Die Iran Oil bevorzugt nämlich aus gewissen Gründen verheiratete Ingenieure.«
    »Es werden die gleichen Gründe sein, weshalb man dort auch verheiratete Ärzte bevorzugt. Damit wir den Töchtern des Landes nicht gefährlich werden — oder sie uns. Ich habe mich nämlich vor ein paar Jahren selber um einen Posten an einer Klinik in Teheran beworben. Die Geschichte fiel dann ins Wasser, eben weil ich so rasch keine passende Dame fand, die bereit gewesen wäre, mit mir in den Orient zu gehen.«
    »Was Sie nicht sagen!«
    Schwester Kordula räusperte sich diskret, und Dr. Schwenninger schaute sich fragend um.
    »Darf der Patient essen, Herr Doktor?«
    »Wenn er Appetit hat, selbstverständlich. Nun, wie steht’s damit?«
    »Vielleicht Schweinsfüße mit Sauerkraut?« fragte Michael lüstern.
    Der Doktor schüttelte den Kopf: »Mann«, sagte er, »Sie haben wirklich eine Konstitution wie ein Roß. Geben Sie ihm irgendein leichtes Eiergericht, Schwester.« Er ließ sich noch für einen Moment am Bett nieder. »Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, verehrter Herr, aber ein Unfall wie Ihrer kann im System Störungen hinterlassen, die nicht sofort feststellbar sind. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben kann, dann machen Sie nach Ihrer Entlassung für ein paar Wochen Pause. Vierzehn Tage genügen schon. Vielleicht haben Sie einen Freund, der ein Fischwasser oder Landbesitz hat...«
    »Lieber Gott, Herr Doktor, jetzt werden Sie direkt witzig«, sagte Michael mit einiger Resignation, »aber die Freunde, die ich habe, wünschen sich seit Jahr und Tag nichts sehnlicher als einen Freund mit Fischwasser und Landbesitz.«
    »Dann gehen Sie doch mit einem Koffer voller Bücher in ein stilles kleines Nest, an irgendeinen hübschen See oder in die Berge.« Der Doktor sprach wie der Inhaber eines Reisebüros. Mit Worten und Handbewegungen beschwor er förmlich den Bücherkoffer, die blitzenden Spiegel der Seen und die großen Landschaftswächter des Allgäus oder Oberbayerns herauf. Fraglos gab er Michael seine eigenen Urlaubswünsche preis.
    »Ich werde mir Ihre Vorschläge ernsthaft überlegen. Man könnte zum Beispiel an den Chiemsee gehen, ans Ostufer, das noch nicht so sehr von Fremden überlaufen ist.«
    »Oder fahren Sie zufällig Faltboot?«
    »Natürlich fahre ich Faltboot!«
    »Herr«, fuhr der Doktor auf, »und das erzählen Sie mir erst jetzt? Da haben Sie ja alles, was Sie brauchen!« Dr. Schwenninger verfiel für einen Augenblick aus der Begeisterung in einen kühleren Ordinationston: »Ruhe, Luft, hoffentlich viel Sonne, und vor allem — wenig Menschen. Drei sind bereits zuviel.« Er lächelte, es sah fast verträumt und zärtlich
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