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Die letzten Tage

Die letzten Tage

Titel: Die letzten Tage
Autoren: Dana Kilborne
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Zeichen!
    Innerhalb der vergangenen Wochen waren zwei Männer, die dieselbe Tätowierung am Handgelenk trugen, ermordet aufgefunden worden. Einer war tot im Wasser treibend des Vierströmebrunnens auf der Piazza Navona entdeckt worden. Den Zweiten hatte man mit Nägeln an das Kreuz einer Kapelle in der Nähe des Kolosseums geschlagen.
    Und hier war nun die Nummer Drei – und der Beweis dafür, dass der Mörder seine Opfer keineswegs willkürlich auswählte. Denn sie alle gehörten zur Bruderschaft …
    Grazia presste die Lippen aufeinander. Jetzt konnte Commissario Tozzi sie nicht länger als Spinnerin abtun! Und selbst wenn ihr Vorgesetzter ihre Theorie noch immer nicht ernst nahm, so musste er sich nun zumindest anhören, was sie ihm zu sagen hatte.
    Sie griff nach ihrem Handy und wählte die Nummer des Kommissariats. In knappen Sätzen informierte sie den diensthabenden Kollegen über ihre Entdeckung. Dann zog sie ihre Jacke aus und breitete sie über den Toten aus, um zu verhindern, dass der Regen wichtige Beweise vernichtete, ehe die Spurensicherung den Fundort der Leiche gesichert hatte.
    Plötzlich hörte sie ein leises Geräusch hinter sich. Grazia erstarrte.
    In ihrer Aufregung hatte sie gar nicht daran gedacht, dass sich der Täter womöglich noch in der Nähe aufhalten könnte. Verdammt, das hätte ihr nicht passieren dürfen! Sie durfte sich nicht wundern, wenn man sie nicht für voll nahm, solange sie sich wie eine blutige Anfängerin aufführte!
    Sie holte noch einmal tief Luft, dann sprang sie auf und wirbelte herum. „Polizei! Ich …“
    Sie stockte. Da war niemand. Erleichtert atmete sie auf. Offenbar hatten ihr lediglich ihre angespannten Nerven einen Streich gespielt. Sie schüttelte den Kopf und ging zum Friedhofstor, um draußen an der Straße auf das Eintreffen ihrer Kollegen zu warten. Auf einmal hörte sie wieder etwas.
    Irritiert verharrte Grazia mitten in der Bewegung und lauschte. Ein greller Blitz zuckte vom Himmel herab und tauchte das düstere Zwielicht für den Bruchteil einer Sekunde in gleißende Helligkeit. Im selben Moment taumelte ein Mann hinter dem Stamm einer hohen Eiche, die direkt an der Friedhofsmauer stand, hervor. Schwankend drehte er sich einmal um die eigene Achse, ehe er mit gesenktem Kopf stehen blieb und aufstöhnend das Gesicht in den Händen barg.
    Er war barfuß und, abgesehen von einer locker auf den Hüften sitzenden schwarzen Baumwollhose, unbekleidet. Seine Figur erinnerte Grazia an die Darsteller aus den Kampfsportfilmen, die sie als Mädchen so gern gesehen hatte: muskulös und athletisch, dabei aber fast schon überschlank. Seine Haut war so bleich, dass sie beinahe durchscheinend wirkte – umso auffälliger war die riesige, gezackte Narbe, die entlang der Wirbelsäule über seinen ganzen Rücken zu reichen schien.
    Und dann schaute er plötzlich auf. Ihre Blicke trafen sich. Atemlos rang Grazia nach Luft. Die Zeit schien einfach stillzustehen. Die Geräusche ihrer Umgebung – das Prasseln des Regens, der Wind und der Donner – schienen zu verstummen. Sie nahm nur noch ihren eigenen, hämmernden Herzschlag wahr – so laut wie afrikanische Buschtrommeln.
    Dieser Typ – Grazia schätzte ihn auf Mitte bis Ende zwanzig – sah einfach unverschämt gut aus. Nein, korrigierte sie sich sofort. Er sah nicht einfach nur gut aus, er war geradezu überirdisch schön. Er strahlte etwas aus, das zugleich bedrohlich, aber auch äußerst anziehend wirkte.
    Kurz fragte sie sich, warum er kaum etwas anhatte. Sein Aufzug war selbst für einen strahlenden Sommertag Mitte Juli ungewöhnlich – im strömenden Regen, mitten in einem heftigen Gewitter wirkte es regelrecht bizarr. Doch es gelang ihr nicht, den Gedanken festzuhalten. Er schwebte einfach davon, so wie all die anderen Dinge, die ihr noch einen Augenblick zuvor ungemein wichtig erschienen waren.
    Grazia fühlte ein Kribbeln im Bauch. Sie wollte es nicht, aber es gab nichts, was sie dagegen tun konnte. Und sie konnte auch nicht aufhören, ihn anzustarren.
    Pechschwarzes Haar umrahmte ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen. Die nassen Strähnen reichten ihm bis auf die Schultern. Am eindrucksvollsten waren jedoch seine Augen, die die Farbe eines klaren Gletschersees besaßen. Als Grazia direkt hineinblickte, glaubte sie für einen winzigen Moment zu spüren, wie eine Welle eisigen kristallklaren Wassers über ihrem Kopf zusammenschlug. Sie glitt dahin, immer tiefer und tiefer, bis es weder oben noch unten
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