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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur
Autoren: Charlotte Link
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recht: Es ist sehr fraglich, ob man hier in Heathrow etwas findet.«
    »Na ja«, sie versuchte ein Lächeln, froh, dass wenigstens ihre Tränen versiegten, »dann sehe ich mal zu, dass ich ein behagliches Plätzchen in einer der Wartehallen finde. Es ist hier ja zumindest warm und trocken.«
    Er zögerte. »Wissen Sie, ich könnte Ihnen anbieten … möchten Sie vielleicht bei mir übernachten? Mein Gästezimmer ist winzig, aber es ist wahrscheinlich doch etwas bequemer als die Wartehallen hier. Und morgen früh könnten Sie problemlos mit der U-Bahn wieder hierherfahren.«
    Sein Angebot überraschte sie. Sie konnte inzwischen wieder klar genug sehen und denken, um zu registrieren, dass sie einem sehr gut aussehenden Mann gegenüberstand. Groß und schlank, das Gesicht schmal und intelligent. Ende Dreißig, Anfang Vierzig. Teurer Mantel. Der Typ Mann, der mit dem Finger schnippt und sofort unter einer Menge attraktiver und interessanter Frauen seine Auswahl treffen konnte. Der ganz bestimmt nicht auf eine verheulte, unscheinbare Dreiundzwanzigjährige abfuhr, die auf dem Flughafen herumirrte und wie ein Kind quengelte, weil ihre Pläne durcheinandergeraten waren. Aber er bot ihr sein Gästezimmer natürlich auch nicht an, weil sie ihn in irgendeiner Form faszinierte. Oder weil er sie gern näher kennen lernen würde. Er war einfach nett, und sie tat ihm leid. Unter normalen Umständen hätte er sie überhaupt nicht wahrgenommen.
    »Ich glaube, das kann ich nicht annehmen«, sagte sie, um Zeit zu gewinnen.
    Er zuckte mit den Schultern, leicht ungeduldig, wie ihr schien. »Was mich betrifft, können Sie es annehmen, andernfalls hätte ich es nicht angeboten. Mein Name ist übrigens Reeve. Marc Reeve. Hier«, er kramte in der Innentasche seines Jacketts, zog eine Karte heraus und reichte sie Elaine, »meine Karte.«
    »Sie sind Anwalt?«
    »Ja.«
    Ihre verstorbene Mutter hatte ihr natürlich beigebracht, dass man nie mit fremden Männern ging. Keinesfalls in ihre Autos einstieg oder sie gar in ihre Wohnungen begleitete.
    »Das missverstehen Männer immer«, hatte sie erklärt, »und du stehst hinterher dumm da, weil dir keiner glaubt, dass du es nicht selber auf eine kompromittierende Situation angelegt hast.«
    Ach, Mummy, dachte sie, du meintest es so gut, aber wenn du mich nicht immer vor allem und jedem gewarnt hättest, würde mein Leben heute vielleicht nicht in solch einer schrecklichen Sackgasse stecken.
    Außerdem war ihr völlig klar, dass sie unglücklicherweise von Marc Reeve nicht das Geringste zu befürchten hatte. Ein attraktiver, offensichtlich wohlhabender, also erfolgreicher Londoner Anwalt. Er fand sie wahrscheinlich ebenso prickelnd wie einen Schluck abgestandenes Wasser. Hatte aber eine soziale Ader.
    Ich bin seine gute Tat für heute. Na, großartig!
    »Ich heiße Elaine Dawson«, sagte sie, »und es wäre wirklich sehr nett, wenn ich bei Ihnen übernachten dürfte.«
    »Na also«, sagte er und nahm ihren Koffer, »dann kommen Sie mit. Mein Wagen steht im Parkhaus.«
    Sie schoss noch einen Testballon ab. »Hat Ihre Frau nichts dagegen, wenn Sie unangekündigt jemanden mitbringen?«
    »Ich lebe getrennt«, erwiderte er kurz.
    Sie folgte ihm durch das Gewühl. Trotz der vielen Menschen schritt er sehr rasch voran, sie hatte etwas Mühe, ihn nicht zu verlieren. Ihr Herz klopfte schneller und stärker als sonst.
    Und auch wenn nichts ist, wenn nichts daraus wird, es ist besser als Kingston St. Mary, dachte sie, es ist besser als immer dasselbe. Tagaus, tagein. Es ist besser!
    Unauffällig ließ sie ihre Hand in ihre unelegante Plastikhandtasche gleiten, suchte ein wenig herum, fand ihr Handy und schaltete es aus. Es war gemein von ihr, aber ausnahmsweise wollte sie nicht für Geoffrey erreichbar sein.
    Nur für diese eine Nacht.
     

 
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Teil I

Freitag, 8. Februar 2008
     
    Es gab an nahezu jedem Freitagabend Streit zwischen Dennis Hamilton und seinem Sohn Robert, und Rosanna fand es langsam ermüdend. Sie verstand beide: den sechzehnjährigen Robert, der mit seinen Kumpels losziehen und das Nachtleben erkunden wollte, und Dennis, der ihn für zu jung hielt und an allen Ecken Alkohol, Drogen oder andere Versuchungen witterte.
    »Mein Vater hätte mir aber was erzählt, wenn ich mich mit sechzehn nachts hätte herumtreiben wollen«, sagte Dennis, und mit dem Wort herumtreiben löste er natürlich sofort eine heftige Gegenreaktion bei seinem Sohn
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