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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur
Autoren: Charlotte Link
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Möglichkeit, dass sich … irgendetwas ändert. Es hätte eine Chance sein können, die mir das Schicksal schenkt.
    An allen Schaltern drängten sich aufgeregte Menschen, Reisende, die wissen wollten, wie es nun weitergehen würde. Überfordertes Flughafenpersonal versuchte, die Ruhe zu bewahren und Auskunft zu geben. Im Grunde stand aber nur eines klar und unveränderlich fest: An diesem Abend würden von Heathrow keine Flüge mehr starten.
    Es gelang ihr, eine Angestellte von British Airways anzusprechen.
    »Entschuldigen Sie bitte … ich muss unbedingt heute Abend noch nach Malaga fliegen!«
    Die andere lächelte, professionell und unbeteiligt. »Es tut mir leid. Wir können nichts gegen den Nebel unternehmen. Es wäre einfach zu gefährlich.«
    »Ja, aber …« Sie konnte es einfach nicht fassen. Einmal, ein einziges Mal in ihrem verdammten dreiundzwanzigjährigen Leben verließ sie das Dorf, in dem sie geboren und aufgewachsen war, und schickte sich an, eine Reise anzutreten, versuchte, sich aus der tödlichen Routine und Eintönigkeit ihres Alltags zu befreien, und dann scheiterte sie am Londoner Nebel. Sie merkte, dass Tränen in ihr aufstiegen, und mühte sich panisch, sie zurückzuhalten. »Ich wollte eigentlich schon heute Morgen fliegen«, erklärte sie unsinnigerweise, »aber ich hatte umgebucht …«
    »Das ist schade«, meinte die Angestellte, »bis heute Mittag ging noch alles klar.«
    Geoff war am Vorabend völlig unvermittelt zusammengebrochen. Beim Abendessen hatte er plötzlich seinen Löffel sinken lassen. Schon vorher hatte er in allen Speisen nur lustlos gestochert, aber das tat er auch sonst oft. Nun rannen auf einmal Tränen über seine Wangen.
    »Es tut mir leid«, schluchzte er, »es tut mir leid!«
    »Ach, Geoff! Geoff, nicht weinen! Ist es wegen mir? Weil ich … weil ich nach Gibraltar reise?«
    Eine rein rhetorische Frage. Sie wusste, dass es wegen Gibraltar war. Seltsamerweise hatte sich im darauffolgenden Gespräch alles um den Zeitpunkt ihrer Abreise gedreht, nicht um die Reise selbst.
    »Wenn du wenigstens noch zum Frühstück da wärst! Dass du so früh wegmusst … dass ich dann so bald schon dieser Fremden ausgeliefert bin …«
    »Vielleicht«, hatte sie halbherzig angeboten, »geht noch ein späterer Flug. Die Hochzeit ist ja erst am Samstag …«
    Er war sofort darauf angesprungen. »Das würdest du tun? Das würdest du wirklich tun? Am Nachmittag fliegen? Mein Gott, Elaine, das würde einfach alles viel leichter für mich machen!«
    Wieso eigentlich? Die paar Stunden? Das Frühstück? Aber sie hatte sich in all den Jahren an derartige Verhaltensweisen bei Geoff gewöhnt. Irrational. Unverständlich. Nicht nachvollziehbar. Aber so war er eben. So würde er immer sein.
    »Was soll ich denn nun machen?«, fragte sie ratlos. »Glauben Sie, dass andere Flughäfen … Gatwick? Stan-sted? Glauben Sie, dort gehen Flüge?«
    Die Angestellte von British Airways schüttelte den Kopf. »Die haben mit demselben Problem zu kämpfen wie wir.«
    »Ja, aber …«
    »Wohnen Sie in London?«, fragte die andere.
    »Nein. Ich wohne in Kingston St. Mary.« Glaube ich ernsthaft, irgendjemand kennt das Kaff?, fragte sie sich. »In Somerset«, setzte sie hastig hinzu. »Es ist leider nicht allzu nah.«
    Und verkehrstechnisch eine Katastrophe, wollte sie weiter erklären, hätte sie nicht gemerkt, dass ihr Gegenüber schon sein Lächeln verloren hatte und zwischen Entnervtheit und Gereiztheit schwankte. »Ich glaube, da komme ich heute Abend nicht mehr hin.«
    »Dann würde ich mir rasch ein Hotel suchen. Hier in Heathrow sind heute Abend so viele Menschen gestrandet, da wird im Umkreis sehr schnell nichts mehr zu haben sein. Oder Sie sichern sich einen Platz in einer der Wartehallen und verbringen die Nacht dort. Essen und Getränke kann man sich hier ja überall besorgen.«
    »Denken Sie, dass ich morgen früh fliegen kann?«
    Schon im Weiterlaufen, zuckte die andere mit den Schultern. »Das kann Ihnen niemand garantieren. Aber es ist möglich!«
    Eine Frau, die das Gespräch mitangehört hatte, schimpfte los. »Unmöglich! Keiner hilft einem hier weiter! Keine Ahnung, wohin ich jetzt gehen soll! Die müssten doch irgendetwas unternehmen!«
    Elaine sah sich in der Abfertigungshalle um. Ein solches Gewimmel von Menschen hatte sie noch nie gesehen. Wer sollte da irgendetwas unternehmen? Die Angestellte hatte ihr vermutlich den einzigen Rat gegeben, der realistisch war: Sie musste sich einen halbwegs
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