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Die Lennox-Falle - Roman

Die Lennox-Falle - Roman

Titel: Die Lennox-Falle - Roman
Autoren: Heyne
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Verschwinden würde nur zu Komplikationen führen«, sagte der Mann mit der Peitsche. »Mit deinem vom Wein umnebelten Verstand plapperst du ja unentwegt Blödsinn. Besser, du gehst nach Paris zurück zu den anderen betrunkenen Landstreichern. Verschwinde hier, sonst stirbst du!«
    »Wie …? Woher wußtet ihr …?«
    »Du bist doch reif für die Klapsmühle, Jodelle, oder wie du dich auch sonst gerade nennst«, sagte der Wachmann neben dem Mann mit der Peitsche. »Meinst du, wir hätten dich die letzten zwei Tage nicht beobachtet, wie du mit deinem Karabiner durchs Gebüsch gekrochen bist? Früher warst du viel besser, hat man mir erzählt.«
    »Dann bringt mich doch um, ihr Schweinehunde! Ich würde lieber hier sterben, nachdem ich ihm so nahe gekommen bin, als weiterleben.«
    »Oh nein, das wäre dem General nicht recht«, sagte der Mann mit der Peitsche. »Du könntest ja anderen gesagt haben, was du vorhast, und wir wollen nicht, daß man auf diesem Besitz nach dir oder deiner Leiche sucht. Du bist verrückt, Jodelle, das weiß jeder. Das haben die Gerichte ja festgestellt.«
    »Die sind doch korrupt!«
    »Und du bist paranoid.«
    »Ich weiß, was ich weiß!«
    »Und ein Säufer bist du auch, das bestätigen ein Dutzend Cafés am Rive Gauche, die dich rausgeworfen haben. Trink dich doch zur Hölle, aber verschwinde hier, ehe ich dich jetzt dorthin schicke. Steh auf! Und dann lauf weg, so schnell dich deine krummen Beine tragen!«

     
    Der Vorhang senkte sich nach der letzten Szene der Aufführung, einer französischen Übersetzung von Shakespeares Coriolanus, neu belebt von Jean-Pierre Villier, dem fünfzigjährigen Schauspieler, der jetzt der König der Pariser Bühne ebenso wie der französischen Leinwand war und den man kürzlich nach auf seinem ersten in den Vereinigten Staaten gedrehten Film für einen Oscar nominiert hatte. Der Vorhang hob sich wieder, senkte sich herab und hob sich erneut, als der große, breitschultrige Villier sich lächelnd und mit leichtem Händeklatschen bei seinen Zuschauern bedankte. Niemand schien auf den Akt des Wahnsinns vorbereitet, der kurz bevorstand.
    Aus den hinteren Reihen des Theaters taumelte ein alter Mann in zerfetzter, schäbiger Kleidung den Mittelgang herunter und schrie so laut seine heisere Stimme das erlaubte. Plötzlich hatte er ein Gewehr in der Hand, und von den Wänden des Theaters hallten Entsetzensschreie wider. Villier bewegte sich schnell, schob die paar Schauspieler und Bühnentechniker beiseite, die neben ihm an die Rampe getreten waren.
    »Einen wütenden Kritiker kann ich akzeptieren, Monsieur!« donnerte er und trat so dem abgerissenen alten Mann entgegen, der sich der Bühne näherte. »Aber das ist verrückt!« dröhnte seine markante Stimme, die jeden Zuhörer in ihren Bann zwang. »Legen Sie Ihre Waffe weg, dann reden wir!«
    »Für mich gibt es nichts mehr zu reden, mein Sohn! Mein einziger Sohn! Ich habe dich und deine Mutter im Stich gelassen, ich bin nutzlos, ein Nichts! Du sollst nur wissen, daß ich es versucht habe … ich liebe dich, mein Sohn, und ich habe es versucht, aber ich habe es nicht geschafft!«
    Mit diesen Worten drehte der alte Mann sein Gewehr herum, schob sich den Lauf in den Mund und seine rechte Hand griff nach dem Abzug. Als er abdrückte, riß es ihm die hintere Kopfhälfte weg, und Blut und Gehirnmasse bespritzten alle um ihn herum.
     
    »Wer, zum Teufel, war dieser Mann?« rief Jean-Pierre Villier in seiner Garderobe erschüttert aus. Seine Eltern standen neben ihm. »Er hat so verrücktes Zeug geredet und sich dann selbst getötet. Warum?«

    Die beiden Villiers, die jetzt Ende der Siebzig waren, sahen einander an. Dann nickten sie.
    »Wir müssen mit dir reden«, sagte Catherine Villier und massierte dem Mann, den sie als ihren Sohn großgezogen hatte, den Nacken. »Vielleicht sollte deine Frau auch dabei sein.«
    »Das ist nicht nötig«, fiel ihr der Vater ins Wort. »Das kann er selbst entscheiden, wenn er es für nötig hält.«
    »Du hast recht, mein Lieber. Es ist seine Entscheidung.«
    »Wovon redet ihr beiden eigentlich?«
    »Wir haben dir viele Dinge vorenthalten, mein Sohn. Dinge, die dir damals in deiner Jugend vielleicht hätten schaden können -«
    »Mir schaden?«
    »Wir waren ein besetztes Land, und der Feind suchte dauernd nach denen, die sich insgeheim den Siegern widersetzten. In vielen Fällen haben sie ganze Familien, die sich verdächtig machten, eingesperrt und gefoltert.«
    »Natürlich, die
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